Götterdämmerung
oder bigotten Heuchler zu entlarven, war es zu offensichtlich.«
»Und für eine Anmache halten Sie es nicht?«, fragte Andrew Tevlin belustigt.
»Andrew, ich habe genug Anträge bekommen. Ich habe selbst Leute angemacht. Sie waren gerade etwa so aufrichtig interessiert an mir wie meine elfjährige Tochter an Automotoren.«
Tevlin lachte. »Touche. Sie haben keine Ahnung, wie viele Journalisten vor Mitleid angesichts der Tragik von AIDS triefen, aber in ihrem Innersten eine Einstellung wie der letzte reaktionäre Hinterwäldler aus dem Süden haben.«
»Danke. Ich bin so ein Hinterwäldler aus dem Süden. Wir werden genauso oft diskriminiert wie ihr Schwule, und dazu kommt, dass uns schlichtweg keiner mag. Ich denke immer häufiger daran, meine eigene Lobby für uns Südstaatler zu gründen.«
»Sie sind in Ordnung, Neil«, sagte Andrew Tevlin. »Also, schießen Sie los mit den Fragen. Es geht um Fred, nicht wahr?«
Auf Neils Blick hin erläuterte er: »Fred war sein richtiger Name, nicht der, den ihm das Studio verpasst hatte. Alle seine Freunde nannten ihn so. Übrigens, er hat Ihr erstes Buch noch gelesen. Beruflich. Er fand, es gäbe einen guten Filmstoff ab, mit ihm selbst als Dr. John Sowieso. Gautman, Gofinan, Sie wissen schon, der Kerl, der mit Oppenheimer gearbeitet hat und später all seine Forschungsgelder verlor, weil er die Wahrheit über das Strahlungsrisiko bei Atomtests sagte und dann auch damit an die Öffentlichkeit ging. Er war gut in solchen Rollen. Der aufrechte Einzelne gegen das System.«
»Schade für uns beide«, kommentierte Neil, obwohl er sich den Schauspieler Ron Nichols beim besten Willen nicht als Dr. John Gofman vorstellen konnte.
»Für mich auch. Fred wollte mir auch eine Rolle verschaffen, und es hätte mein Durchbruch werden können. Versprach er wenigstens, und Fred hielt im Allgemeinen seine Versprechen. Ach, was soll’s. Seifenopern bringen zwar keine Oscars ein, aber besser als die Arbeitslosigkeit sind sie allemal. Und ich habe Fans. Sie haben ja keine Ahnung, wie besitzergreifend Fans von Seifenopern sind. Die schicken einem sogar selbst gestrickte Socken zu Weihnachten.«
»Klingt besser als die Morddrohungen in meiner Post. Sind Sie eigentlich damals auch untersucht worden?«
»Zurück zum Thema, wie? Klar bin ich das. Ich lass mich heute noch regelmäßig untersuchen, aber der alte Herr über den Wolken meint es gut mit mir. Damals ist mir natürlich der kalte Schweiß ausgebrochen, als Fred seine Diagnose bekam. Die Gerüchte über irgendeine neue Schwulenseuche fingen kurz danach an, und wir konnten alle noch nicht wissen, dass es mehr war als das. Ich meine, bei Fred und mir lag es zwar schon eine Weile zurück, aber ich hatte ja keine Ahnung, wann genau er sich das Zeug zugezogen hatte. Graham zum Beispiel, das war Freds fester Freund nach mir, Graham hat es erwischt, später, als wir schon wussten, was es ist.«
Schräg unter ihnen, neben einem von Tevlins Heckensauriern, baute sich einer der Straßenprediger auf, die ebenso in das Alltagsleben dieser Stadt gehörten wie die Straßenband, deren Musik vom anderen Ende der Fußgängerzone zu ihnen drang. Neil trank etwas von seinem frisch gepressten Orangensaft. »Jesus liebt euch Brüder und Schwestern«, begann der Prediger im hastigen abgehackten Rhythmus eines Rappers und mit einem Mikrofon als Verstärkung. »Oh ja das tut er. Ich sage euch, ich war ein Nichts und…«
»Muss hart gewesen sein, nicht mal zu wissen, was für eine Krankheit das überhaupt war«, bemerkte Neil mit leicht erhobener Stimme und fragte sich, ob ihnen der Prediger als Kommentator für den Rest des Interviews erhalten bleiben würde.
»Das können Sie laut sagen. Fred hat sich ziemlich lang daran geklammert, dass es vielleicht nur eine neue Art von Syphilis oder so was ist. Und dann daran, dass rechtzeitig eine Behandlungsmethode gefunden werden würde. Deformation professionelle, wissen Sie?«
Andrew Tevlin unterbrach sich. In seinen Augen glitzerte etwas, das verdächtig nach Tränen aussah. Doch als er weitersprach, blieb seine Stimme das ebenmäßige ausgebildete Instrument eines Schauspielers.
»Für die Helden, die er spielte, gab es ihn immer, den Ausweg in letzter Sekunde. Das ist der American Way of Life, oder? Wir glauben nicht an unabwendbare Tragödien. Wir sind schließlich keine Griechen.«
»Nein. Wir hören nie auf, das Ende umschreiben zu wollen«, gab Neil zurück und unterdrückte die Versuchung, Tevlin
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