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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Bindung sie ohnehin nur stören würde. Welcher Mann will schon eine Freundin, die das Haus nicht verlassen darf?
    Im Netz spielte dergleichen keine Rolle.
    Am dankbarsten war sie für das Internet in den Wochen nach dem 11. September. Die Telefonleitungen funktionierten nicht. Kollegen versuchten vergeblich, ihre Familien in Washington oder New York zu erreichen. Sie hatte selbst zwei Freunde in New York und vier in Washington. Das Netz funktionierte. Da Alaska in einer anderen Zeitzone lag, wachte sie mit den Nachrichten über den Anschlag auf, hörte sie mit den Frühstücksneuigkeiten. An diesem Tag wurde im Labor nicht gearbeitet; ihr Vater und viele andere Laborangehörige, ganz gleich, ob Mann oder Frau, brachen immer wieder in Tränen aus. Beatrice selbst war entsetzt, aber sie konnte nicht weinen. Es erschien zu unwirklich, zu sehr Teil eines Katastrophenfilms, wie sie ihn vom Fernsehen her kannte. Sie war in erster Linie um ihre gesichtslosen Freunde besorgt, ihre Freunde aus dem Netz, deren richtige Namen sie noch nicht einmal hätte nennen können.
    Dedalus, ein Bewohner Manhattans, meldete sich endlich am Abend. Es sei wie ein Kriegsgebiet, berichtete er, Staub und Asche überall und Unmengen verzweifelter Menschen. LittleW, ihre andere New Yorker Freundin, meldete sich nie mehr. Ob sie nun in einem der zerstörten Wolkenkratzer gewesen war oder nicht, für Beatrice war sie ein Opfer des Anschlags, und ihr Verlust machte das Geschehene für sie wirklich.
    »Wir werden es den Mistkerlen zeigen, Dad, nicht wahr?«, sagte sie zu ihrem Vater, und er nickte. Zu diesem Zeitpunkt schwirrten zwar schon Vermutungen umher, aber noch niemand konnte mit Sicherheit sagen, wer die Mistkerle überhaupt gewesen waren. Es machte Beatrice nichts aus, dass die Sicherheitsbestimmungen für das Labor danach noch strenger wurden; was änderte das für sie persönlich? Und sie hatte auch nichts zu verbergen.
    Der April, der gewöhnlich die Schneeschmelze mit sich brachte, ließ noch auf sich warten, und die kalte Märzluft gestattete es ihr nur kurz, nachts nach draußen zu gehen, also verbrachte sie die Abende, an denen ihre Freunde unter den Laborkollegen in Seward ausgingen, für gewöhnlich vor dem Computer.
    Es war erst gegen sechs Uhr, und Beatrice befand sich noch im Labor. Sie besuchte gerade einen der medizinisch orientierten Chaträume und unterhielt sich mit ein paar Online-Bekannten, als sich ein neuer Teilnehmer einloggte. Der Name fiel ihr auf, weil er ihr bekannt vorkam und im Gegensatz zu den meist phantasievollen Netz-Namen nicht nach einem Pseudonym klang.
    ‹Neil LaHaye ist soeben diesem Chat beigetreten›
    Sie ging rasch die Namen durch, an die sie sich erinnern konnte, aber er gehörte nicht zu den Fachgrößen, mit denen sie sich auskannte. Trotzdem, der Name zerrte irgendetwas aus einem Winkel ihres Gedächtnisses hervor, das sich noch nicht zeigen wollte. Andere Teilnehmer waren schneller.
    ‹He›, tippte einer von ihnen, ‹verwandt oder verschwägert mit Liebesgrüße aus Los Alamos?›
    ‹Bekenne mich schuldig.›
    Natürlich. Sie hatte Liebesgrüße aus Los Alamos gelesen, vor Jahren; es stand auf dem Lektüreplan eines ihrer Fernkurse. Was ihr am stärksten in Erinnerung geblieben war, war der bittere Geschmack von Zorn, als sie das Memorandum der staatlichen Atom-Energie-Kommission aus den Fünfzigern las, das tatsächlich die Mormonen von Utah als »entbehrlichen Teil der Bevölkerung« beschrieb und von den Autoren, Neil LaHaye und Matthew Pryce, in voller Länge zitiert worden war. In dem Kommentar dazu war vom Krieg gegen das eigene Volk die Rede gewesen. Auch ihre aus Nevada stammende Mutter war an Krebs gestorben, kurz vor Beatrices viertem Geburtstag, und sie bewahrte nur wenige Erinnerungen an Elaine Sanchez.
    Nach der Lektüre hatte sie seinerzeit ihren Vater aufgesucht und ihn wütend gefragt, ob er die Regierung nicht verklagen könne, das Buch sei Beweis genug.
    »Nein«, hatte er knapp erwidert. »Selbst dann nicht, wenn ich wollte, und ich will nicht. Ich werde jeden Tag meines Lebens um deine Mutter trauern, aber die Tatsache allein, dass sie aus Nevada stammt, bedeutet noch lange nicht, dass diese oberirdischen Atomtests schuld sind an ihrem Krebs. Im Übrigen wurden die Tests schon vor vielen Jahren eingestellt.«
    »Aber wenn doch? Ich meine, wenn du ganz sicher wüsstest, dass Atomexplosionen an ihrem Krebs schuld waren?«
    Ihr Vater hatte geseufzt.
    »Es waren andere

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