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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Zeiten damals, als die Tests durchgeführt wurden; die verdammten Kommunisten saßen uns im Genick, und in jedem Krieg gibt es Opfer. Wer bin ich, um den ersten Stein zu werfen und über die Regierungen von damals zu richten, wenn… nein, ich würde nicht klagen.«
    »Aber die Verantwortlichen wurden nie bestraft!«
    Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihren Vater in einer ernsten Sache nicht verstanden hatte.
    Neil LaHaye also. Oder jemand, der behauptete, Neil LaHaye zu sein; im Internet ließ sich so etwas einfach nicht nachprüfen. In einem Chatraum zu medizinischen Themen allerdings eine ungewöhnlichere Wahl als »Robert Koch« oder, von Teilnehmern mit schwärzerem Humor gewählt, »Epstein-Barr« oder »Lymphozyten-Man«.
    ‹Hallo, Neil›, tippte sie, nachdem die meisten anderen ihn bereits begrüßt hatten. ‹An Kaposi-Sarkom interessiert?›
    Dieser seltene Hautkrebs war das Gesprächsthema gewesen, ehe er sich eingeloggt hatte.
    ‹Indirekt›, schrieb er zurück. ‹Ich kämpfe mich gerade durch sämtliche Mediziner-Chats, die ich finden kann. Ihr seid mein 32. Versuch diese Woche. Eigentlich suche ich nach Informationen über Dr. Victor Sanchez, der 1980 an der New Yorker Universitätsklinik zwei der allerersten AIDS-Patienten mit Kaposi-Sarkom untersucht hat. Nicht der ursprünglich behandelnde Arzt, aber er hat da eine gewisse Rolle gespielt.›
    Nun ja, dachte sie. Er war nicht der erste Reporter, der mit ihrem Vater in Kontakt treten wollte. Es kamen regelmäßig Anfragen von Studenten, von Fachjournalisten, die wissen wollten, was Dr. Sanchez, als einer der Pioniere der Genetik, von der Debatte um die Stammzellenforschung hielt. Einer der vielen Vorzüge der Anonymität des Netzes war, dass sie nicht darauf einzugehen brauchte, wenn sie es nicht wollte. Sie war nicht als Beatrice Sanchez hier, sondern als Morgan, ein geschlechtsneutrales Pseudonym, das niemandem etwas verriet.
    ‹Victor Sanchez hat doch schon seit Ewigkeiten nichts mehr von sich hören lassen›, schrieb Rochefort, ein weiterer Chatteilnehmer. ‹Und auch weder zum Thema Kaposi-Sarkom noch zu AIDS veröffentlicht, soweit ich weiß.›
    ‹Ja›, schrieb Neil zurück. ‹Deswegen wunderte es mich, dass er in so einem Fall aktenkundig geworden ist.›
    Sie konnte sich nicht erklären, warum ihr Vater 1980 in New York Kaposi-Sarkom-Patienten behandelt haben sollte, ganz gleich wie kurz oder lang. Seltsam. Hinsichtlich ihrer eigenen Gefährdung hatte er oft genug bedauert, dass Hautkrebs nicht sein Fachgebiet war. Warum sollte LaHaye, oder um wen auch immer es sich in Wirklichkeit handelte, so etwas erfinden?
    ‹Warum nicht einen der anderen behandelnden Ärzte fragen?›, tippte sie. ‹Oder sind sie schwer zu finden?›
    ‹Nein, im Gegenteil. Diese Fälle wurden schließlich ziemlich prominent. Aber sie weigern sich bisher alle, einen Kommentar über Sanchez abzugeben.›
    ‹Oh›, schrieb Dedalus, ‹natürlich. 1980/81. Das waren wirklich die allerersten AIDS-Verdächtigen, nicht wahr?›
    ‹Genau.›
    ‹Das könnte Sanchez erklären›, tippte sie. ‹In den frühen Tagen der AIDS-Forschung konnte man sich ja nicht sicher sein, ob die Immunschwäche nun erworben oder angeboren war.›
    Neil LaHayes Antwort erschien in den roten Lettern, die der Chatraum ihm zugeteilt hatte, noch ehe Dedalus und Rochefort mit ihren Kommentaren fertig waren.
    ‹Im Winter 1980 war von Immunschwäche noch überhaupt nicht die Rede. Da rätselte man gerade erst herum, warum gleich mehrere junge Männer einen äußerst seltenen Hautkrebs hatten, der sonst angeblich nur in Zentralafrika vorkam. Also wieso Sanchez hinzuziehen?›
    ‹Eine neue Verschwörungstheorie, Neil?›, fragte Rochefort in grünen Lettern. ‹Schreibst du an einem neuen Buch?›
    ‹Keine Verschwörung. Mich interessiert erst einmal dieser Sanchez. Der Mann schien geradewegs auf den Nobelpreis zuzusteuern, untersucht ein paar der ersten AIDS-Fälle, und dann verschwindet er einfach. Ich bin kein Wissenschaftler, Leute, ich bin Autor. Da scheint mir ein gewisses Drama vorzuliegen.›
    ‹Vielleicht legt Sanchez aber gar keinen Wert darauf, sein Leben dramatisiert zu sehen›, schrieb Beatrice, ehe sie sich zurückhalten konnte. ‹Auch Wissenschaftler haben ein Recht auf ihre Privatsphäre.›
    ‹Nein›, erwiderte er. ‹Lies in unseren Gesetzbüchern nach, Morgan. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information geht vor, wenn die Person eine des öffentlichen Lebens

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