Götterdämmerung
in kürzester Zeit isoliert. Sie könnten meinetwegen auf der Straße ohne Papiere umkippen, man würde sie anhand von DNA-Merkmalen aus der Datenbank sofort identifizieren. Man könnte ihre Angehörigen und jeden, der die gleichen Krankheitsmerkmale aufweist, befragen, wo sie gegessen haben, mit wem sie Kontakt hatten, wo sie arbeiten, wo sie einkaufen waren, welche Verkehrsmittel sie benutzt haben. Wir würden so die Kreise solcher Attentäter viel schneller aufstöbern. Es geht hier um Sekunden. Wir werden den Terroristen das Leben nur richtig schwer machen können, wenn Billiarden vorhandener Daten in einer landesweiten Datei unter intelligenten Kriterien zusammengefasst sind, und das wird bald so weit sein.«
Es war ein durchaus stichhaltiges Argument, das musste sie zugeben.
»Dazu gehört, dass wir hier rechtzeitig die notwendigen Schutzstoffe entwickeln«, fügte er hinzu. »Es müssen ja nicht die Pocken sein. Wer weiß, was irgendein Terrorist gerade ausbrütet? Du weißt doch, bei den meisten Viren zählen Stunden, nicht Tage. In diesem Land ist schon verdammt viel schiefgegangen, weil die wichtigen Informationen nicht rechtzeitig die richtigen Leute erreicht haben. Ich will nicht, dass so etwas wieder vorkommt, wenn ich dazu beitragen kann, es zu ändern«.
»Du«, wiederholte sie.
»Du und ich«, ergänzte er und beugte sich zu ihr vor. »Wir können es verhindern. Der nächste 11. September wird garantiert biologischer Natur sein, aber wir können potenzielle Opfer retten. Jetzt schon.«
»Sag mir noch einmal, dass all diese Daten mit dem völligen Einverständnis der Patienten freigegeben wurden und dass wir entsprechend darüber verfügen dürfen.«
»Aber Beatrice«, meinte Mears kopfschüttelnd, »das gäbe doch nur einen unendlichen Papierkrieg, und der ist bei der heutigen Gesetzeslage nicht mehr nötig. Frag bei der CDC an, wenn du mir nicht glaubst.«
Die oberste Gesundheitsbehörde würde seine Worte bestätigen, sonst wäre er sich seiner Sache nicht so sicher, dachte Beatrice. Die Mischung aus Faszination und Beunruhigung in ihr wuchs. Sie konnte es so deutlich vor sich sehen: mit Mears zusammenarbeiten an einem ambitionierten Projekt wie diesem, endlich von ihm als ebenbürtige Wissenschaftlerin anerkannt. Es war ihr bisher nicht bewusst gewesen, wie sehr sie es sich wünschte, von ihm akzeptiert zu werden. Die Erkenntnis löste erneut Verlegenheit und Ärger in ihr aus. Sie wünschte sich, sie könnte uneingeschränkt enthusiastisch sein oder uneingeschränkt ablehnend.
»Warum siehst du mich so an? Es stimmt. Ich habe es nicht nötig, in dieser Sache zu lügen. Hier geht es um Menschenleben, nicht um Bürgerrechte«, fuhr er fort, »denk bitte auch an die nationale Sicherheit. Vorbehalte gegen die Nutzung dieser Datenbank müssen zurückgestellt werden. Die Entscheidung haben unsere Politiker getroffen, und die müssen schließlich wissen, was sie tun.«
»Lass mich darüber nachdenken«, sagte sie leise.
In Mears’ Augen erstarb etwas. Sie hatte das absurde Gefühl, ihn enttäuscht zu haben, aber er ahnte bestimmt nicht, dass er mit seinen letzten drei Sätzen das Falscheste gesagt hatte, was er dazu nur sagen konnte.
»Ich warte.«
Es fiel ihr schwer, sich den Rest des Tages auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Mears’ Angebot und die Implikationen, die darin lagen, tanzten in ihrem Kopf herum wie störrische Trolle.
Am Abend aus der Welt der Honigwaben zu den verschlungenen Linien ihres kleinen Apartments zurückzukehren, brachte auch keine größere Sicherheit. Sie hatte die Wände vor Jahren selbst gestrichen; nicht dass sie handwerklich sonderlich talentiert war, aber die Standardeinrichtung für die Wohnungen der Mitarbeiter war so steril, dass sie sich wie ein weiteres Stück Inventar vorgekommen wäre, wenn sie nicht dagegen rebelliert hätte. Also hatte sie zuerst alles blau gestrichen, als Gegenpol zu dem ständigen Gelb ihres Arbeitsplatzes, und dann rote Figuren hinzugefügt: Wale, Delfine, Urwälder.
Sie war zu nervös, um sich wie sonst nach der Arbeit zunächst auf die Couch zu werfen und zu entspannen. Es war immer der gleiche Satz, der ihr durch den Sinn ging, der Satz, den Neil LaHaye seinem Buch über die Atomversuche als Motto vorangestellt hatte: Wer wacht über die Wächter?
Um den Terroristen immer einen Schritt voraus zu sein, hatte Mears gesagt, in der Nacht, als er gereizt war, nicht tagsüber, als er ihr seine Offerte machte, um schneller als
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