Götterdämmerung
niemand gewinnen könnte, nur dass diesmal Amerika der einzige Inhaber des Druckmittels sein würde. Dad, wie sicher bist du dir, dass er nie über das Anfangsstadium hinauskommen wird?«
Der leichte Wind, der sich erhoben hatte, schien die Worte ihres Vaters zu verwehen, so leise sprach er.
»Man soll in der Wissenschaft nie nie sagen, das weißt du doch. Aber zu neunundneunzig Prozent bin ich mir sicher.«
Ein Prozent, dachte Beatrice. Nicht viel oder alles.
»Gesetzt den Fall«, überlegte sie laut, »dass er irgendwann die genetische Spezifizierung schlicht nach der Pigmentierung vornimmt? Sicher, wir haben auch Schwarze und Latinos und Asiaten in höheren Posten, aber die Mehrzahl verdient immer noch weniger als die weißen Steuerzahler. Ich kann dieses Memo nicht vergessen, das Neil LaHaye in seinem Buch über die oberirdischen Atomtests zitiert hat. Wenn in unserem Land früher ein Teil der Bevölkerung eines Bundesstaats von politischen Entscheidungsträgern als entbehrlich bezeichnet wurde, nur damit man eine Waffe entwickeln und verbessern konnte, warum dann nicht noch einmal?«
Sie wollte hinzufügen, dass Mears sie erst neulich mit der kubanischen Herkunft ihres Vaters konfrontiert hatte und das möglicherweise der Firmenleitung gegenüber als das schlagende Argument für dessen Befangenheit im Falle des Pandora-Projekts angeführt hatte, doch sie schluckte die Bemerkung hinunter. Darum ging es nicht.
»Nein! Die Pigmentierung kann er unmöglich als Kriterium nehmen, das ist wieder eine Sackgasse. Außerdem, es waren andere Zeiten damals«, gab ihr Vater zurück, doch er klang, als versuche er sich selbst zu überzeugen. »Der Kalte Krieg…«
»Aber jetzt haben wir ebenfalls Krieg!«, explodierte Beatrice. »Seit dem 11. September sind wir im Krieg. Wir sind angegriffen worden, wir müssen uns verteidigen. Deswegen findet jemand wie Warren Mears Leute, die ihm Gehör schenken, und ich frage mich…«
Sie hielt inne, holte tief Luft und fuhr fort: »… ich frage mich, ob wir jetzt nicht auch Leute finden müssen, die uns zuhören. Vielleicht hast du Recht, und er verrennt sich in eine fixe Idee, muss irgendwann aufgeben, und es ist nur eines von den Projekten, aus denen nichts geworden ist. Das ist eine Möglichkeit. Aber falls nicht, falls es Anzeichen gibt, dass er tatsächlich weiter damit kommt, dann kannst du nicht einfach nur schweigend zusehen. Dad, er stützt sich auch auf deine DNA-Beobachtungen.«
»Du willst doch auf etwas Bestimmtes hinaus«, stellte ihr Vater fest, ausdruckslos, als bestätige er nur eine Analyse.
»Es gibt jemanden, der dich gerne treffen würde, Dad. Nur treffen. Er hat nicht die geringste Ahnung von dem, was ich dir gerade erzählt habe, oder überhaupt von dem, was Livion hier macht. Ihm geht es um andere Fragen; er schreibt ein Buch, unter anderem über deine Vergangenheit, und interessiert sich für die Untersuchungen, die du Anfang der achtziger Jahre an AIDS-Patienten gemacht hast. Sprich mit ihm, und wenn du glaubst, du könntest ihm vertrauen, dann haben wir im Notfall jemanden, an den wir uns wenden können. Jemand, dem die Öffentlichkeit zuhören wird.«
»Ich nehme an, dieser Jemand hat auch einen Namen.«
»Neil LaHaye«, sagte Beatrice und hörte in der plötzlichen Stille das Knacken von Birkenästen - ein Geräusch, als riebe sich ein Elch an einem Baumstamm, die mit dem Tauwetter immer zahlreicher werdenden Insekten und die unregelmäßigen Atemzüge ihres Vaters.
»Ich fasse es nicht«, stieß er endlich hervor und verlor das Ringen um Selbstbeherrschung. »Du willst, dass ich mit einem der schlimmsten liberalen Hetzer im Land spreche, vertragsbrüchig werde und ihm Stoff für seine Verschwörungstheorien liefere und nur, weil Warren sich einbildet, er müsse sein Forscherleben auf etwas fast mit Sicherheit Unmögliches verschwenden?«
Bleib bei der Sache, befahl sich Beatrice.
»Du hörst mir nicht zu«, antworte sie so ruhig wie möglich. »Du brauchst ihm überhaupt nichts zu erzählen. Er will nur von dir etwas über dich hören. Über unsere Arbeit hier weiß er nichts, er kennt ja kaum den Unterschied zwischen Genen und Genomen oder Viren und Bakterien. Ich möchte nur, dass du ihn kennen lernst, und ehrlich gesagt, Dad, das mit Warren ist da nur der Auslöser, der die Sache etwas dringender macht, sonst hätte ich vielleicht noch länger damit gewartet. Sprich mit ihm. Wenn du ihn danach für einen Idioten hältst, schön, dann
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