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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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zuckten. Unter der Brille legten sich Heiterkeitsfältchen um die Augen.
    »Sie sind unerträglich, wissen Sie das? Amüsant, aber unerträglich. Na schön. Das Spiel war wirklich gut. Ich gehe auch mit Ihnen essen und gebe Ihnen die Chance, mir zu erklären, was es mit dem Papierberg da«, er wies auf den Karton, »auf sich hat.«
    »Ich wusste, Sie sind ein netter Mensch, Doc.«
    Santino’s wurde, wie mittlerweile fast alle italienischen Restaurants in Cambridge, nicht von einem Italiener geleitet; es kam ihnen ein Koreaner entgegen. Aber die Pasta ließ sich sehen, und Neil ließ es sich nicht nehmen, Giles zu einem enorm teuren französischen Chablis zu überreden.
    »Sie wollen mir ein schlechtes Gewissen machen, wie?«, kommentierte Giles und schnupperte an seinem Glas. »Ich warne Sie, diese Psychomasche durch Schuldgefühle funktioniert bei uns Ärzten nicht. Wir haben sie erfunden.«
    »Aber gewiss doch. Wer hat eigentlich das Spiel gewonnen?«
    »Das wissen Sie nicht? Ich dachte, Sie sind der Fan hier?«
    »Ich war in Alaska, Doc. Und jenseits aller Fernsehgeräte. Natürlich wäre ich liebend gern dabei gewesen. Ich meine, wann hat man schon mal die Chance, in Fenway Park das beste Baseball-Team Amerikas spielen zu sehen, wenn man ein viel beschäftigter, gestresster Mann ist?«
    Giles hob beide Hände. »Okay, okay, okay. Ich verspreche nichts, aber… was ist in dem Karton?«
    Neil nahm sich erst etwas mehr von der köstlichen Pasta und ließ sie sich auf der Zunge zergehen, ehe er antwortete.
    »Patentschriften.«
    »Und…?«, hakte Ethan Giles nach.
    »Tja, ich bin zwar ausgesprochen dankbar, dass man unter www.uspto.gov/patft alle erteilten Patente ab 1976 im Volltext abrufen und ausdrucken kann, von den Patentanträgen neueren Datums ganz zu schweigen, aber bereits die Auswahl, die ich getroffen habe, hat meinen Drucker letzte Nacht ziemlich lang auf Trab gehalten. Übrigens, ich habe das Ganze für Sie auch auf Diskette heruntergeladen, nur dachte ich mir, Sie ziehen wie ich Papier vor.«
    »Wie zuvorkommend, vor allem, weil ich noch überhaupt nicht eingewilligt habe, auch nur einen Blick auf Ihr Zeug zu werfen. Was für Patente sind das überhaupt?«
    »Alle, die ich unter den Namen Warren Mears und Victor Sanchez gefunden habe. Nun ist das Endresultat ziemlich umfangreich, wie Sie ja sehen konnten, und auch nach meinen bisherigen Recherchen ist mir die medizinische Fachterminologie immer noch ein Buch mit sieben Siegeln.«
    »Und da«, konstatierte Dr. Giles, nachdem er sich noch etwas hatte nachschenken lassen, »dachten Sie an mich. Neil, schön und gut, dass Sie Material für Ihr neues Buch brauchen, sehe ich ein, aber ich bin doch kein ausbeutbarer Student.«
    »Nein, Sie sind eine Seele von Mensch, ein Freund unter Freunden…«
    »Seit wann sind wir Freunde?«
    »… und Sie möchten in meinem neuen Buch unbedingt als der wissenschaftliche Experte genannt werden, dem ich alles verdanke. Warum sollten eigentlich immer nur Typen wie Victor Sanchez gute Publicity bekommen? Sie hatten vielleicht kein so aufsehenerregendes Debüt, aber dafür haben Sie seit Jahrzehnten nicht aufgehört, am Ball zu bleiben und zu forschen. So was imponiert mir, Doc.«
    »Sie sind unerträglich«, wiederholte Giles noch einmal, seufzte und nahm seine Brille ab, um sie mit der Serviette zu putzen. »Woraufhin soll ich Ihre Ausdrucke denn durchgehen?«
    »Das erste Kriterium ist ein Zusammenhang mit AIDS. Sagte ich schon, dass Sie eine Seele von Mensch sind, Ethan?«
    Es dauerte eine Woche, bis Dr. Giles ihn anrief und meinte, er habe nun Zeit gehabt, die Sache durchzugehen. Als er Neil mit einer Tüte gerösteter Maronen in der Tür stehen sah, schüttelte er den Kopf, aber er lächelte breit.
    »Immerhin sind Sie originell mit Ihren Bestechungen.«
    »Soll das heißen, ich muss die Maronen wieder mitnehmen?«
    »Unterstehen Sie sich. Sagen Sie mal, wie kommen Sie eigentlich auf solche gastronomischen Taktiken?«
    Achselzuckend erwiderte Neil: »Ich bin aus dem Süden. Da wird so etwas erwartet.«
    Er schlenderte zu dem Schreibtisch, auf dem säuberlich geordnet fünf Stöße lagen. Giles griff nach den Maronen.
    »Der größte Haufen«, erläuterte er kauend, »besteht aus Patenten, die eindeutig nichts mit AIDS zu tun haben. Da geht es um Krebsmittel und Antikörper, wobei mir auffiel, dass die neueren Anmeldungen sich ausschließlich auf Protein-Gen-Kombinationen zur Behandlung von Erbkrankheiten und

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