Götterdämmerung
harmlos. Also, was führt Sie zu mir?«
Während einer der Kellner die Speisekarte und die Weinkarte brachte, stellte ein zweiter einen Brotkorb auf den Tisch. Neil warf einen flüchtigen Blick auf die Speisekarte und erwiderte beiläufig:
»Einer meiner Cousins ist bei der Manhattan-Bank zuständig für Wertpapiere. Als ich ihn fragte, ob er mir etwas Hintergrundmaterial über Livion und den Pharmamarkt beschaffen könnte, verwies er darauf, dass man heute selbst bei den großen Wertpapierhäusern nicht mehr sicher sein kann, ob die Leute dort fair arbeiten oder nur das PR-Material der Firma weitergeben, deren Strukturen sie eigentlich durchleuchten sollten. Sie dagegen würden gewöhnlich nur für die großen Fonds arbeiten, und die würden Ihnen solche Fehler nie verzeihen.«
Eddingtons Gesicht war hinter der Weinkarte verschwunden, als er gedämpft bemerkte: »Da liegt er richtig. Ihnen ist aber schon klar, dass unser Gespräch keine einseitige Sache sein kann. Das habe ich Ihrem Cousin gleich gesagt, als er den Termin arrangiert hat. Ich kann mir keine Zeitverschwendung leisten.«
»Roger ist ein Profi«, antwortete Neil. »Verwandtschaft hin oder her, er hätte Sie nicht angesprochen, wenn er nicht wüsste, dass ich in der Lage bin, mich für Ihre Informationen erkenntlich zu zeigen.«
»Tja«, sagte Eddington genüsslich, »dann lassen Sie uns mal bestellen.«
Es fiel Neil auf, dass Rafe Eddington die französischen Namen sowohl der Weine als auch der Gerichte akzentfrei aussprach; der Mann war in jeder Lebenslage ein Profi. Sie warteten, bis ihnen die Aufmerksamkeit des Hauses serviert worden war, eine hauchzarte Kombination aus Spargelköpfen und Lachs, dann fragte Eddington:
»Was wollen Sie wissen?«
»Gehört Livion Ihrer Meinung nach zu denen, die kommen, oder zu denen, die gehen, weil ihnen die Patente auslaufen?«
Eddington schnalzte mit der Zunge. »Es gibt keine Firma, die risikofreudiger und aggressiver an den Markt geht als Livion. Das sind Könner. Die werden noch auf sämtlichen Beerdigungen der anderen Firmen tanzen.«
Nachdem er sein letztes Stück Spargel heruntergeschluckt hatte, erkundigte sich Neil: »Honoriert das die Börse? Die veröffentlichten Gewinne scheinen jedenfalls nicht an Pfizer und Glaxo-Smith-Kline heranzureichen.«
»Alles hat seine Zeit«, entgegnete Eddington gemütlich. »Sowohl das Investieren als auch das Kassieren. Zurzeit wird wohl wieder investiert. Aber Profit ist das Endziel, und verlassen Sie sich darauf, die Jungs an der Spitze von Livion wissen, wie man den macht.«
»Und das bei einer Branche, die angeblich nur für die elementaren Probleme der Menschheit da ist«, kommentierte Neil trocken, um sein Gegenüber aus der Reserve zu locken.
Eddington grinste. »Wenn Sie mich fragen, keine andere Branche ist so hart.«
»Naja. Ich habe einige Erfahrung mit der Rüstungsindustrie.«
Die Bemerkung löste bei Eddington ein verächtliches Schnauben aus.
»Die sind ein Haufen Philanthropen im Vergleich. Selbst ein Kokain-Boss würde bei der Pharmaindustrie keine zwei Jahre durchhalten. Schließlich sind die Gewinne bei Pharma ja auch wesentlich höher. Bei dreißig Prozent ausgewiesenem Gewinn, mein Freund, gibt es nur eins: Fressen oder gefressen werden.«
»Sie werden philosophisch. Wie wär’s mit ein paar konkreten Beispielen?«
»Denken Sie an den Kampf bei der Gesundheitsbehörde FDA um die Zulassung. Wer es schafft, dass die Konkurrenz noch ein paar Monate warten muss, macht vielleicht eine Milliarde mehr in diesem Jahr. Was würden Sie alles für eine Milliarde tun?«
Neil zuckte die Achseln. »Möchte ich nicht darüber nachdenken. Ich habe erst vor kurzem Nachhilfeunterricht in großen Zahlen erhalten.«
Auf einem kleinen Tischchen wurde der Sherry für Eddington und Neils Weißwein herbeigerollt. Während der Kellner ihre Aperitifs abräumte, fragte Neil:
»Womit genau wird Ihrer Einschätzung nach bei Livion das große Geld gemacht, woran wird gearbeitet?«
»Tja, die arbeiten schätzungsweise an sechzig neuen Wirkstoffen. Vierzig Medikamente sollen verbessert werden. Sie haben vier Blockbuster, die…«
»Blockbuster?«
»Blockbuster sind Medikamente, die allein mehr als eine Milliarde Umsatz machen. Wer so was im Stall hat, verteidigt es natürlich mit Zähnen und Klauen bis zum Auslauf des Patentschutzes, um sich die Gewinne zu erhalten. Blockbuster sind zum Beispiel h3c4 als Bluthochdruckmittel, Antibiotika, ein
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