Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
weiß.« Die Frau lächelte. »Aber deswegen ist dein Freund ja nicht aus der Welt. Früher oder später wird er sich bei dir melden, schon allein, um zu erfahren, ob du etwas herausgefunden hast.«
Johnny fragte sich, wie um alles in der Welt Ailin davon erfahren hatte, oder war es einfach nur ein Schuss ins Blaue gewesen? Obwohl die Erfolgsaussichten gering waren, versuchte er es mit einem Ablenkungsmanöver: »Wenn überhaupt, dann können sie allenfalls eine Dirac-Nachricht schicken, die so gut wie öffentlich ist. Für ein vertrauliches Gespräch ist das Verfahren ungeeignet.«
»Komm mir bitte nicht so, Johnny«, entgegnete die Frau mit sanftem Tadel. »Du weißt doch genauso gut wie ich, dass die Sicherheit allein von der Komplexität der Verschlüsselung abhängt. Ich bin sicher, dass ihr die nötigen Vorkehrungen längst getroffen habt, doch ich möchte deinem ohnehin etwas unpässlichen Mitbewohner im Moment nicht zu nahe treten. Mir genügt die Zusage, dass du mich informierst, sobald sich Mr. Farr bei dir meldet.«
»Unpässlich?«, erkundigte sich Johnny hastig. »Was hast du mit ihm gemacht?«
Seine Aufregung schien die Frau zu amüsieren. Sie wandte sich vom Fenster ab und bedachte ihn mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
»Nichts. Dein KI-Freund hatte ein paar Wahrnehmungsstörungen und war deswegen etwas durcheinander. Ich habe mich darum gekümmert und ihm eine kleine Auszeit verschafft. Weiter ist nichts passiert.«
»Du hast ihn abgeschaltet?«, fragte John Varley ungläubig. Das erklärte zwar den ausbleibenden Alarm, war aber technisch so gut wie unmöglich. James’ Stromversorgung war mehrfach gepuffert und zusätzlich batteriegestützt, und an den Hauptschalter kam niemand von außerhalb des Hauses heran. Wirklich niemand? Ailins Fähigkeiten wurden Johnny immer unheimlicher …
»Er hätte uns doch nur gestört«, erwiderte die Frau lächelnd und trat einen Schritt auf ihn zu. Der Blumengeruch wurde stärker und verlagerte Johnnys Interesse auf eine Ebene fernab rationaler Erwägungen. Natürlich wusste er, dass Schneewittchen nur mit ihm spielte, das änderte jedoch nichts. Das Karussell nahm Fahrt auf, ohne dass es dazu mehr bedurfte als der Einladung ihres Blickes und eines Lächelns, das seine Reaktion vorwegnahm. Die Spannung kehrte mit einer Intensität in seinen Körper zurück, die alle anderen Empfindungen auslöschte. Nichts war mehr wichtig, außer dem, was die Tiefe ihres Blickes versprach, der ihn gefangen hielt und erst freigab, als nichts, auch nicht der Stoff ihrer Kleidung, mehr zwischen ihnen war.
Aber da hatte sein Verstand längst ausgesetzt.
Als John zu sich kam, war er allein. Ihm war kalt, und er fühlte sich völlig zerschlagen. Dazu kam, dass er nicht etwa in seinem Bett, sondern auf dem blanken Fußboden lag und sich fragte, wie er in dieser unbequemen Haltung überhaupt hatte schlafen können. War er etwa ohnmächtig gewesen? Seine Erinnerung war lückenhaft, jedoch nicht so diffus, dass er sich nicht an Schneewittchen erinnerte. So weiß wie Schnee, so rot wie Blut … Blut … War da nicht etwas Klebriges auf dem Fußboden? Johnny drehte sich auf den Rücken und verspürte plötzlich einen brennenden Schmerz am rechten Bein. Vorsichtig richtete er sich auf und entdeckte eine blutverkrustete Schnittwunde am Oberschenkel, schmal, aber offenbar tief, sonst hätte sie nicht so stark geblutet. War das etwa Ailin gewesen?
Es half nichts, er musste aufstehen, auch wenn das Schwindelgefühl dabei stärker wurde. Mühsam quälte er sich auf die Knie und betrachtete mit leichtem Schaudern die getrocknete Blutlache dort, wo eben noch seine Beine gelegen hatten. Der Blutverlust war nicht dramatisch; sein Schwächegefühl hatte andere Ursachen. Dennoch war die Situation bizarr. Ein zerbrochenes Glas oder ein scharfkantiger Gegenstand hätten die Verletzung vielleicht erklären können, doch nichts dergleichen war zu sehen. Also blieb eigentlich nur Ailin, nur weshalb hatte sie das getan? Er tastete noch einmal vorsichtig nach der Wunde, die wieder zu bluten begonnen hatte. Er brauchte zumindest ein ordentliches Pflaster, wenn er schon keinen Arzt behelligen wollte. Der Medikamentenschrank war im Bad, und dahin musste er ohnehin. Als John aufstand, geriet er für einen Moment ins Taumeln und musste sich an der Wand festhalten, bis das Schwindelgefühl wenigstens so weit nachließ, dass er den Weg ins Bad riskieren konnte.
Bei näherer Betrachtung sah die
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