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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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sicher.
    Aber wie war sie überhaupt hereingekommen? Hatte James ihm nicht versichert, und das nicht nur einmal, das Haus sei absolut sicher? Das hatte man davon, wenn man sich auf einen mit Biomüll gefüllten Blechkasten verließ. Johnny musste unwillkürlich lächeln und wunderte sich gleichzeitig über die eigene Reaktion. Eigentlich hätte er Angst haben müssen, Todesangst. Ailin Ramakian hatte zwei Menschen getötet, damals auf Patonga, und um ein Haar wäre er der dritte gewesen. Und jetzt war sie hier …
    Johnny ließ die Frau keinen Augenblick aus den Augen, während er sich mit fahrigen Bewegungen etwas überzog. Das Bizarre der Situation war ihm durchaus bewusst, dennoch war er außerstande, etwas zu unternehmen. Der Harndrang, den er zuvor nur unbewusst wahrgenommen hatte, wurde plötzlich stärker. Natürlich konnte er versuchen, wegzulaufen oder die Polizei zu rufen, aber aus irgendeinem Grund war er überzeugt, dass die Frau es nicht zulassen würde. Allein die Vorstellung war absurd – genauso absurd wie die Idee, Gewalt anzuwenden. Zweifellos würde sich ein geeigneter Gegenstand finden, mit dem er zuschlagen konnte, doch Johnny wusste nur zu gut, dass er es nicht tun würde. Genau genommen konnte er gar nichts tun, nichts, außer dazustehen, das schlafende Schneewittchen anzustarren und sich dabei fast in die Hosen zu machen. Die Situation war ebenso albtraumhaft wie lächerlich: Da stand er nun in Unterhosen und T-Shirt neben seinem eigenen Bett, in dem eine nackte Frau schlief, und traute sich nicht, aufs Klo zu gehen! Diese Vorstellung und die Furcht vor einer noch schlimmeren Blamage brachen schließlich den Bann. Johnny drehte sich einfach um und ging ins Bad. Die Frau schien nichts dagegen zu haben …
    Die Erleichterung beim Urinieren war zwar nur körperlicher Natur, dennoch gab ihm der Aufschub Gelegenheit, das Chaos seiner Gedanken ein wenig zu ordnen. In Ailins Anwesenheit war das fast unmöglich. Sie würde nicht zulassen, dass er einfach so von hier verschwand, davon war er nach wie vor überzeugt. Die entscheidende Frage war jedoch eine andere: Weshalb war sie hier?
    Die Frau hatte nicht vor, ihn zu töten, das war ihm mittlerweile klar geworden. Anderenfalls hätte sie es längst getan. Und sie hatte die weite Reise auch nicht unternommen, um sich mit ihm zu amüsieren oder weil sie etwas für ihn empfand. Von derlei Illusionen hatte er sich schon auf Patonga verabschieden müssen.
    Also blieb nur die dritte Möglichkeit: Ailin war hier, weil sie etwas von ihm wollte: Informationen. Sie mussten sich auf etwas beziehen, das nichts mit seinem Auftrag auf Patonga zu tun hatte, in dessen Hintergründe er sie ja eingeweiht hatte. Etwas, das ihren Auftraggebern wichtig genug war, dass sie ihm eine – wie hatte Ailin sie selbst genannt? – Zaramu hinterherschickten, um ihn gefügig zu machen. Darin war Schneewittchen perfekt, das musste Johnny ihr zugestehen, obwohl er sich manchmal seiner Schwäche schämte. Und wenn er sich nicht schleunigst etwas einfallen ließ, würde sie auch diesmal bekommen, was sie von ihm wollte …
    »Johnny?«
    Er zuckte leicht zusammen, nicht aus Angst oder schlechtem Gewissen, sondern weil er einfach nicht damit gerechnet hatte, ihre Stimme zu hören. Sie klang weder aufgebracht noch beunruhigt, eher fragend wie ein »He, wo bist du denn?«.
    Er räusperte sich vernehmlich, um sie davon abzuhalten, nach ihm zu suchen, und fügte sich schließlich in das Unvermeidliche.
    Als er ins Schlafzimmer trat, stand die Frau am Fenster, dessen Vorhänge sie inzwischen aufgezogen hatte. Sie war immer noch nackt, aber in ihrer Haltung lag keinerlei Herausforderung. Sie sah hinaus in Richtung Waldrand und drehte sich auch nicht um, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
    Wenigstens ersparte sie ihm die Peinlichkeit, auf irgendeine Begrüßungsfloskel antworten zu müssen oder gar auf ein Widerspruch einforderndes »Freust du dich gar nicht, mich zu sehen?«. Natürlich hätte er mit »Doch« geantwortet, und das wäre sogar die Wahrheit gewesen, obwohl »freuen« nicht ganz der passende Ausdruck war. Was Johnny in ihrer Gegenwart empfand, hatte mit dem aseptisch hellen Kindergeburtstagsbegriff »Freude« nicht das Geringste zu tun. Sie war der Abgrund, in den er immer wieder fallen würde …
    »Du glaubst, ich hätte vorgehabt, sie zu töten«, sagte die Frau, ohne die Stimme zu heben. Es war keine Frage, und als sie sich zu ihm umdrehte, glitzerten Tränen in ihren

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