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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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die Heimat? Wie wird sie die Nachricht vom Verschwinden der Nemesis aufnehmen, falls die Information sie überhaupt schon erreicht hat? Ist er überhaupt noch Teil ihres Lebens?
    Die Ungewissheit ist noch schwerer zu ertragen als das Grau ringsum. Er hätte Annie niemals allein lassen dürfen …
    Als er ein Geräusch hört, glaubt Henry zunächst an eine Sinnestäuschung, aber das Rauschen wird lauter, rasch, und bevor er reagieren kann, ist es bereits heran und stürzt wie eine dunkle Wolke auf ihn herab. Etwas trifft Henry am Hals, nicht heftig, aber der Schmerz durchzuckt seinen Körper wie ein elektrischer Schlag. Benommen taumelt er zurück und verliert seine Waffe. Henry möchte schreien, bringt aber nur ein ersticktes Gurgeln hervor, und als er fällt, greifen seine Hände ins Leere.
    Er hört Schüsse, doch sie sind seltsam weit weg, wie durch einen Wattebausch gedämpft. Alles ist mit einem Mal ganz weit weg, auch der Schmerz, und dann ist da nur noch ein Gesicht, ihr Gesicht, das sein Blickfeld ausfüllt und sich auf ihn herabsenkt wie eine schützende Decke. Annies Blick ist ernst und aufmerksam, aber ihr Mund lächelt, und so lächelt auch Henry, bevor sein Bewusstsein erlischt wie eine müde Kerzenflamme.
    Ein triumphierender Schrei durchhallt die Gänge, bevor sich das Rauschen der Schwingen in der Ferne verliert, aber den hört Henry Philipp Jenkings nicht mehr. Sein Weg ist hier zu Ende, das wissen auch die anderen, noch bevor sich Miriam als Erste mit zitternden Knien erhebt.
    Die Kommandantin weiß nicht, was Henry getötet hat, dafür ging alles zu schnell. Aber sie weiß jetzt, dass auch das graue Labyrinth seinen Minotaurus hat und dass sie ihn töten muss, wenn sie den Ausgang erreichen wollen.
    Der Schock vergeht, und ihre Gestalt strafft sich.
    Miriam Katana ist bereit.
      
    Annie rannte.
    Ihr war klar, dass sie Henry nicht einholen würde, aber der Zwang, der sie weitertrieb, war stärker. Vielleicht gelang es ihr ja doch, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Der Abstand war so groß, dass sie Henry immer häufiger ganz aus den Augen verlor. Dennoch gab sie nicht auf, sondern verschärfte sogar noch das Tempo, um den Kontakt nicht ganz abreißen zu lassen.
    Henry war ein geübter Läufer und musste sich vermutlich nicht einmal besonders anstrengen, um den Anstieg zu bewältigen. Nur weshalb er das tat, blieb Annie ein Rätsel. Was hoffte er zu finden dort oben, wo es nur kahle, eisbedeckte Felsen gab und jeder Fehltritt den Sturz in die Tiefe bedeuten konnte? War es die Gefahr, die ihn lockte, oder lief er vor etwas davon? Warum tat er sich, tat er ihnen das an?
    Im nächsten Moment erschien der Mann wieder in ihrem Blickfeld – eine schlanke, verlorene Gestalt, die mit der Beharrlichkeit eines Insekts dem Gipfel zustrebte. Annie wollte rufen, ihn zwingen, sich umzusehen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Auch das überraschte sie nicht wirklich, hatte sie doch die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, das alles schon einmal gesehen und erlebt zu haben. Doch das änderte nichts an ihrer fast schon verzweifelten Entschlossenheit, es diesmal zu schaffen …
    Sie rannte weiter, ohne auf den Untergrund zu achten und blind für alles, was sich rechts und links des Weges befand. Die Fremdartigkeit der Landschaft kam ihr ebenso wenig zu Bewusstsein wie die Stille ringsum, die jeden Laut aufzusaugen schien. Die Welt um sie herum war grau, selbst das dornenblättrige Gestrüpp, das hier und da aus Felsspalten wuchs. Es war ein Ort, der Farben ebenso ausschloss wie Geräusche, und dennoch erschien er Annie seltsam vertraut. Das Déjà-vu-Gefühl wurde mit jedem Schritt stärker, obwohl sie versuchte, es zu ignorieren. Aber die Bilder ließen sich nicht verdrängen. Es war nun nicht mehr weit bis zu dem Ort, an dem Henry in den Schatten der Felswände eintauchen und aus ihrem Blickfeld verschwinden würde. Aber das durfte sie nicht zulassen. Nicht diesmal.
    Noch einmal beschleunigte Annie ihr Tempo, und tatsächlich hatte sie den Eindruck, dass sich der Abstand ein wenig verringerte. Doch Henry sah sich nicht um, wie er sich nie nach ihr umgesehen hatte, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Es war kein böser Wille, dennoch tat es weh …
    Zurück! , schrie Annie lautlos, als sie das Felsentor sah und begriff, dass sie es auch diesmal nicht schaffen würde. Henry würde verschwinden, dort drin , aus der Welt und aus ihrem Leben. Der Schmerz schnürte ihr die Kehle zu, und noch

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