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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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nicht an, zumal der Fremde nur bestätigt hatte, was er längst hundertfach erwogen und mehr als einmal versucht hatte, in Worte zu fassen: Es war nicht nur bloße Furcht vor den »tödlichen Vögeln der Seele« gewesen, er hatte auch gespürt, dass sie ihm keinen Trost bieten konnten. Sie waren einander zu fremd, und jeder Versuch der Annäherung hätte ihren Glanz getrübt und ihn dennoch geblendet …
    »Denn mein Anruf ist immer voll Hinweg«, hatte er damals geschrieben, um dieser Ambivalenz Ausdruck zu verleihen, die er – wie ihm inzwischen klar geworden war – noch immer empfand. Nicht er hatte seine Meinung geändert, sondern sie die ihre, falls der Besucher tatsächlich einer der Ihren war …
    »Weshalb bist du hier?«, ermannte sich der Dichter schließlich zu fragen. Er ahnte, dass ihn die Antwort in Schwierigkeiten bringen würde, aber die Ungewissheit war schlimmer.
    »Um mit dir zu sprechen, was wir längst hätten tun sollen«, entgegnete der kleine Mann ruhig und setzte die Kaffeetasse ab. »In erster Linie aber, um zu erfahren, ob wir mit deiner Unterstützung rechnen können, wenn es notwendig wird.«
    »Dazu müsste ich allerdings erst einmal wissen, worum es geht«, erwiderte der Dichter vorsichtig. »Üblicherweise sind es ja eher wir Sterblichen, die der Hilfe und des Zuspruchs bedürfen.«
    »Du bist nicht mehr sterblich, René«, versetzte der Fremde trocken. »Erstens lebst du in deinen Werken weiter, und zweitens sollte dir inzwischen auch aufgefallen sein, dass dieser Ort kein gewöhnlicher ist. Die Uhren laufen hier zwar langsamer als draußen, aber 800 Jahre sind dennoch eine lange Zeit.«
    800 Jahre! , dachte der Dichter erschrocken. Wenn das ein Scherz sein sollte, dann kein besonders guter. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich jedoch daran, was er am Rande der grauen Wüste beobachtet hatte, und musste einräumen, dass die Zeitspanne nicht so absurd war, wie sie ihm im ersten Moment erschienen war. Welchen Grund sollte der Besucher auch haben, ihn anzulügen?
    »Entschuldigung«, sagte er leise und räusperte sich. »Aber an diese Vorstellung muss ich mich erst gewöhnen.«
    »Es kommt ein wenig überraschend, ich weiß«, gab der kleine Mann zu. »Aber irgendwann musstest du es schließlich erfahren. Im Grunde wollte ich dich nur darauf vorbereiten, dass die Welt draußen nicht mehr die ist, die du einmal gekannt hast.«
    »Was ist denn passiert?« Der Schock saß noch immer so tief, dass der Dichter rein mechanisch reagierte, ohne sich der Tragweite der Worte des Fremden überhaupt bewusst zu werden.
    »Die Frage lässt sich nicht mit ein paar Sätzen beantworten; immerhin geht es um eine Zeitspanne von Jahrhunderten. Also beschränken wir uns auf das Wesentliche: Die Menschen haben die Erde schon vor langer Zeit hinter sich gelassen und sind hinausgezogen in den unerforschten Weltraum. Inzwischen haben sie ein so riesiges Gebiet erschlossen, dass selbst das Licht Jahrzehnte benötigt, um es von einer Grenze zur anderen zu durchqueren. Heute gibt es einen dicht besiedelten Bereich, den man die ›Kernwelten‹ nennt, und Dutzende mehr oder weniger abgelegene Kolonialplaneten. Zusammen bilden sie die sogenannte ›Föderation‹, in der mittlerweile etwa 150 Milliarden Menschen leben. In der Zusammenfassung klingt das wie eine Erfolgsgeschichte, aber die Realität ist leider etwas komplexer …«
    »Was bedeutet ›hinter sich gelassen‹?«, wollte der Dichter wissen, der dem Vortrag mit zunehmendem Unbehagen gefolgt war. »Lebt dort niemand mehr?«
    »Soviel wir wissen: nein. Die meisten Städte waren ohnehin zerstört, die Felder verwüstet und unfruchtbar. Mittlerweile dürfte sich die Natur wieder erholt haben, aber das ist ein anderes Thema.«
    »Das klingt nach Krieg«, sagte der Dichter leise, wie zu sich selbst. Er zweifelte zwar nicht an den Worten des Besuchers, weigerte sich jedoch, sie mit seiner Welt in Verbindung zu bringen. Es war ihm ohnehin unmöglich, sich ein derartiges Maß an Zerstörung vorzustellen. Die Bilder und Orte, die er in sich trug, ließen sich nicht durch die bloße Behauptung auslöschen, sie existierten nicht mehr, und so blieben seine Erinnerungen unangetastet. Vielleicht war diese Abwehrhaltung auch eine Art Selbstschutz, waren sie doch alles, was er besaß.
    »Der Exodus begann früher«, erklärte der kleine Mann, »aber er wurde natürlich in der Furcht vorangetrieben, dass es zu spät sein könnte, wenn der Krieg erst einmal

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