Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
hätten sie nie existiert.
»Verdammt, Vera, ich brauche eine Erklärung!«, wandte sich der Kommandant nach einer Schrecksekunde an die Schiffsintelligenz. »Wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, sind wir erledigt.«
»Eine Raum-Zeit-Manipulation«, erwiderte die KI ungerührt. »Die Geschosse fallen in eine andere Zeitebene, in der das Zielobjekt noch nicht da war, und tauchen irgendwo dahinter wieder in der Ist-Zeit auf.«
»Und was können wir dagegen unternehmen?«
»Leider nicht viel, Commander. Wir sollten uns zurückziehen, bevor die Schutzfelder zusammenbrechen.«
Wie zur Bestätigung wurde das Schiff erneut, dieses Mal ohne jegliche Vorwarnung, von einer Salve unsichtbarer Geschosse getroffen und noch schwerer durchgeschüttelt als beim ersten Mal. Es dauerte endlose Sekunden, bis sich das Feld wieder stabilisiert hatte und die roten Überlastsymbole erloschen.
Obwohl er nicht aufsah, spürte Farr die auf ihn gerichteten Blicke. Er musste eine Entscheidung treffen, und es gab gute Gründe, Veras Rat zu folgen. Ein Wendemanöver barg allerdings enorme Risiken, denn jede Abweichung aus der Frontalen bot dem Feind eine größere Angriffsfläche für seine Breitseiten. Also blieb im Grunde nur der erneute Gegenschub mit dem Ziel eines geordneten Rücksetzens auf gleichem Kurs. Der Kommandant wollte schon den entsprechenden Befehl erteilen, als ihm etwas einfiel. Die Idee war abenteuerlich, hatte aber das Überraschungsmoment auf ihrer Seite – wenn alles gut ging …
»Roberta, ich brauche breitflächiges Streufeuer mit Leuchtspurgeschossen«, wies er Ortega an und wandte sich danach ebenfalls über Pricom an den Waffenmeister. Kaito Masao beantwortete die Fragen des Kommandanten sichtlich angespannt, doch als er begriffen hatte, hellte sich seine Miene auf.
»Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Commander?«, erkundigte sich die Schiffsintelligenz, als die Flechette-Batterien zu feuern begannen und Tausende winziger Projektile wie ein Schwarm Leuchtkäfer Kurs auf das fremde Schiff nahmen. Die meisten erloschen, als sie auf den unsichtbaren Schutzschild trafen, aber jenseits des Zentrums blieb ein leuchtender Saum, der erst allmählich verglomm wie eine erlöschende Korona.
»Ja, Vera.« Farr grinste und wandte sich wieder seinem Terminal zu. Der Puls hämmerte wie wild in seinen Schläfen, als er Masao die Zielansprache übermittelt hatte und ein weiteres Geschoss wie von der Sehne geschnellt dem Feind entgegenjagte. Diesmal aber schien es sein Ziel deutlich zu verfehlen und flog, ohne dem fremden Schiff auch nur nahe gekommen zu sein, an ihm vorbei hinaus in die dunkle Weite des Alls.
Als die Bildschirme weiß wurden, glaubten die Frauen und Männer an Bord der Hemera zunächst an einen durch die zahlreichen Beinahetreffer ausgelösten Defekt. Doch auch als die Polarisationsfilter die Helligkeit heruntergeregelt hatten und sie ihren Irrtum erkannten, begriffen die wenigsten, was geschehen war. Erschrocken und verständnislos starrten sie auf den Feuerball, der den Himmel vor ihnen mit erbarmungslosem weißen Licht füllte. Eine neue Sonne war aufgegangen, und als sie ihr kurzes Leben vollendet hatte und erschöpft in sich zusammenfiel, war nichts mehr vor ihnen, was den Blick in die sternbeglänzte Weite trübte. Das fremde Schiff war verschwunden, ohne eine Spur zurückzulassen, fast so, als hätte es niemals existiert.
»Gefechtsalarm aufgehoben!«, verkündete Raymond Farr in das betroffene Schweigen hinein und errötete wie ein kleiner Junge, als Ortega unvermittelt aufsprang und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Wenn du meinst«, murmelte der Kommandant geschmeichelt, bevor er wieder offiziell wurde: »Mr. Koenig, volle Fahrt voraus!«
»Du hättest es mir sagen müssen, Ray.« Veras Stimme klang sachlich wie immer, dennoch glaubte Farr, eine Spur Missbilligung herauszuhören. »Es war immerhin eine hoch riskante Operation.«
»Das mag schon sein«, gab der Kommandant zu, »Nur dass man bei Entscheidungen dieser Art nicht lange über das Für und Wider diskutieren kann. Immerhin haben wir den Gegner überrascht, oder etwa nicht?« Er grinste.
»Du hast ihn überrascht, nicht wir, Ray. Und genau das ist der springende Punkt. Du hast zwar das Kommando, aber ich bin das Gehirn deines Schiffes, nicht irgendeine Maschine. Wir wären alle zusammen verbrannt, wenn dieser Sikhaner dich über den Vernichtungsradius der Waffe belogen hätte.«
»Korrekt, und dieses mysteriöse Segelschiff
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