Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
im letzten Augenblick zur Ordnung gerufen hätte.
Ein wenig Amüsement durfte sie sich dennoch gönnen, wenn sie schon einmal allein und unbeobachtet war. Es bestand zwar keine zwingende Notwendigkeit, die Angelegenheit zu forcieren, aber da die Entscheidung nun einmal getroffen war, konnte sie die nächste Figur auch gleich aus dem Spiel nehmen. Den Zwerg wollte sie sich allerdings noch aufsparen. Er schien ein pfiffiger Bursche zu sein, dessen Loyalität sicherlich nicht so weit ging, sich für diese Miriam in Stücke reißen zu lassen. Für außergewöhnliche Talente hatte die Regentin immer Verwendung …
Sie aktivierte den Observer und verfolgte in den nächsten Minuten konzentriert die Aufnahmen aus dem Inneren des Labyrinths, das keineswegs so riesig und verwinkelt war, wie es den seit Tagen darin Herumirrenden zweifellos erscheinen musste. In Wirklichkeit war es ein hochpräzises mechanisches Meisterwerk, dessen Wände sich zeitgesteuert und abhängig vom Standort der »Besucher« zu immer neuen Mustern verschoben und ein Entkommen de facto unmöglich machten.
Die Regentin hätte die Verfolger durchaus ihrem Schicksal überlassen und in aller Ruhe abwarten können, bis sie vor Durst und Verzweiflung wahnsinnig wurden, aber das widersprach ihrem Naturell. Außerdem war da noch die Waffe, über deren Aufbau und Schlagkraft offenbar selbst höheren Ortes nichts bekannt war. Solange diese Ungewissheit bestand, musste die Regentin ihre Schläge so wohldosiert platzieren, dass ihre Gegnerin weder den Verstand noch die Beherrschung verlor. Das war keine geringe Herausforderung, der sie sich aber zu stellen wusste.
An geeignetem Instrumentarium mangelte es nicht, denn im Gegensatz zu seinem antiken Vorbild beherbergte ihr Labyrinth nicht nur einen Minotaurus, sondern ein halbes Dutzend davon. Angha, der Klingenvogel, hatte seinen Beitrag bereits geleistet, auch wenn sein Opfer zu ihrer Enttäuschung kaum Widerstand geleistet hatte. Die Regentin mochte keine leichten Siege. Sie machten weich und überheblich. Aber dieser matetrinkende Waffenmeister war hoffentlich ein stärkeres Kaliber und sollte deshalb durchaus eine Chance haben, auch wenn sie bei Abwägung aller Umstände nicht allzu groß war …
Die Regentin griff zum Lichtstift, zeichnete einen Rahmen um die mit schussbereiter Waffe voranmarschierende Gestalt und speicherte die Aufnahme. Dann wechselte sie den Bildausschnitt Richtung »Zwinger« und vergrößerte die Darstellung des ausgewählten Tieres so weit, dass dessen mit beeindruckenden Reißzähnen ausgestattetes Maul unter der platten Nase und den düsterrot leuchtenden Augen scheinbar jeden Augenblick nach ihr schnappen konnte.
»Guter Hund«, murmelte sie zufrieden, während sie die Zielansprache in den Bildspeicher lud. »Lauf jetzt, Tiangou, und hol dir dein Fresschen!«
Mit dem stilechten Kreischen rostiger Angeln glitt das Torgitter zur Seite, und das gedrungene Kraftpaket jagte mit raumgreifenden Sprüngen davon.
Die Regentin wechselte den Bildausschnitt zurück zum Standort der Dreiergruppe, deren Mitglieder stehen geblieben waren und ihre Waffen in Anschlag gebracht hatten. Sie hatten etwas gehört – natürlich – und waren gewarnt.
Mit einem erwartungsfrohen Lächeln trat die Regentin zurück und nahm entspannt wieder in ihrem Sessel Platz. Es würde noch ein wenig dauern, bis Tiangou vor Ort auftauchte. Er war zwar extrem schnell, musste aber eine ganze Reihe gewundener Gänge durchqueren, um sein Ziel wie vorgegeben zu erreichen. Sie beobachtete, wie die dunkelhaarige Frau und der Waffenmeister kurz Blickkontakt aufnahmen. Offenbar waren sie unsicher, ob sie weiter abwarten oder ihren Weg fortsetzen sollten. Die Anspannung war ihnen deutlich anzusehen.
Die Regentin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Die Zeit war jetzt reif …
Der hochgewachsene Mann zuckte mit den Schultern und trat vorsichtig einen Schritt nach vorn. Den von hinten ins Bild huschenden Schatten konnte er nicht sehen, und als Tiangou zum Sprung ansetzte, war sein Schicksal so gut wie besiegelt. Die Frau reagierte dagegen blitzschnell und beinahe noch rechtzeitig. Ansatzlos riss sie ihre Waffe herum und feuerte auf das schattenhafte Etwas, das im Sprung vorwärts sie beinahe gestreift hatte.
Natürlich konnten die Projektile Tiangous Panzerung nichts anhaben, so wenig wie ihr Impuls das 300 Pfund schwere Kraftpaket aus der Bahn werfen konnte. Nichts
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