Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
Vom Netzwerk:
hockte, nein, kniete eine schattenhafte Gestalt, die sich in diesem Moment aufrichtete und dem Neuankömmling zuwandte.
    Es war tatsächlich Sergio Balinas. Farr erkannte ihn sofort wieder, obwohl der Seher auch hier seine unvermeidliche Sonnenbrille trug. Er hatte sich nicht verändert – natürlich nicht –, trotz der Jahre, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren. Und auch sein Lächeln war so kühl und distanziert wie damals.
    Raymond Farr wurde schnell klar, dass der Willkommensgruß von eben auch schon alles war, was Balinas zu ihrem Wiedersehen zu sagen hatte. Die Rollenverteilung hatte sich nicht geändert. Die Angels gaben Menschen gegenüber keine Erklärungen ab. Sie beantworteten ihre Fragen – manchmal. Aber der Seher hatte ihn »Bruder« genannt; das war immerhin ein Hoffnungsschimmer. Ebenso wie die einladende Geste, mit der Balinas ihn zum Setzen aufforderte.
    »Sie haben gebetet?«, erkundigte er sich wie beiläufig, nachdem er auf einer der winzigen Bänke Platz genommen hatte. Balinas blieb stehen, vielleicht, um Distanz zu wahren, oder weil es ihm unpassend erschien, zu Farr aufzublicken. Aber er antwortete.
    »Ja, warum nicht?«
    »Dann glauben Sie … glaubt ihr … an einen biblischen Gott?«
    »Nein, Bruder Soldat.«
    Wieder diese seltsame Anrede, die vermutlich eine tiefere Bedeutung hatte. Farr konnte sich nicht erinnern, dass Balinas sie jemals zuvor benutzt hätte. Nicht einmal Admiral Spork gegenüber …
    »Weshalb dieses Treffen und warum hier?«, wollte Farr wissen. Der Themenwechsel war vielleicht ein wenig abrupt, aber er musste endlich Klarheit gewinnen
    »Deshalb«, erwiderte der Mann mit der Sonnenbrille lächelnd und deutete auf eines der beiden Fenster. Die kunstvolle Bleiglasarbeit zeigte im Zentrum eine Heiligenfigur neben einem Baum voller Vögel. Offenbar lauschten die Tiere den Worten des Predigers. Nach weiteren Hinweisen suchte Farr allerdings vergeblich.
    »Eine Allegorie«, fügte der Seher hinzu, als erkläre der Begriff alles. Verständigungsprobleme dieser Art waren Raymond Farr nur zu vertraut, und so wusste er auch, dass weitere Nachfragen zwecklos waren. Wenn er etwas erfahren wollte, musste er seine Fragen so präzise stellen, dass kein Spielraum für kryptische Andeutungen blieb.
    Dennoch musste er all seinen Mut zusammennehmen, um die entscheidende Frage zu stellen. Vielleicht hing sein Unbehagen damit zusammen, dass er die Antwort zu kennen glaubte …
    »Was kann ich tun, das Sie oder ein anderer nicht genauso gut übernehmen könnten?«
    Diesmal lächelte der Seher nicht. Er nickte so, als habe er sich über diese Frage auch schon den Kopf zerbrochen, sei aber noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Dann nahm er die Sonnenbrille ab.
    Sein Blick traf Farr wie der Strahl eines Scheinwerfers. Doch die blaue Helligkeit blendete nicht nur seine Augen, sondern drang weiter vor, bis in sein Bewusstsein, das dem Ansturm schutzlos ausgeliefert war, als wäre es aus Glas.
    Einen Augenblick später war alles vorbei. Raymond Farr konnte wieder sehen. Zurück blieb nur ein seltsamer Nachhall, das Gefühl, etwas gewonnen und wieder verloren zu haben.
    »Vieles«, erwiderte der Seher überzeugt. »Sonst wären Sie nicht hier.«
    Er hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt, was die eben durchlebte Szene noch unwirklicher erscheinen ließ. Jetzt war er nur noch ein schmalbrüstiger, kleiner Mann, der Farr kaum bis zur Schulter reichte. Und seine Antwort war unbefriedigend.
    »Zum Beispiel?«, hakte Farr nach.
    »Sie haben unter anderem die Möglichkeit, unvernünftig zu handeln.«
    »Und das ist ein Vorzug?«
    »Natürlich.« Sergio Balinas lächelte zuvorkommend.
    Wieder eine Sackgasse, dachte Raymond Farr. Warum sagt er mir, verdammt noch mal, nicht, was sie von mir erwarten?
    »Die Nemesis verfolgt eine flüchtige Goleaner-Stadt«, erklärte der kleine Mann so unvermittelt, als hätte er Farrs Gedanken gelesen. »Sie sollten ihr so rasch wie möglich folgen.«
    »Ist sie in Gefahr?«, stieß Farr aufgeregt hervor. Das Schiff war ihm gleichgültig; er meinte Miriam.
    »Jeder ist in Gefahr, der das Spiel stört«, erwiderte der Seher .
    »Welches Spiel?«
    »Später«, wehrte der kleine Mann ab. »Im Übrigen haben Sie unsere These gerade selbst bestätigt.«
    »Inwiefern?«
    »Sie werden die Nemesis unter allen Umständen aufspüren.«
    »Das stimmt«, gab Farr zu. Er war ohnehin überzeugt, dass Balinas den wahren Grund kannte.
    »Auch wenn Sie dazu

Weitere Kostenlose Bücher