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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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sie fortfuhr, klang ihre Stimme ernst: »Allerdings solltest du dir überlegen, was du tust. Fremde, die Fragen stellen, sind hier nicht sehr beliebt, erst recht nicht, wenn es die falschen Fragen sind.«
    »Aber hier geht es um einen Unfall, der zig Jahre her ist«, wandte Johnny ein. »Und es handelt nicht einmal um ein Verbrechen, sondern nur um die Frage, ob es nicht vielleicht doch Überlebende gab.«
    »Aber genau das ist der Punkt«, erklärte Ailin Ramakian nachsichtig. »Gemäß der offiziellen Darstellung sind alle Insassen des Bootes ums Leben gekommen. Wenn es in Wirklichkeit anders gewesen ist, muss jemand gelogen haben, und das bestimmt nicht ohne Grund.«
    Johnny murmelte etwas Zustimmendes. Natürlich hatte jemand gelogen, wenn Miriam Kasuka noch am Leben war.
    »Du bist ein Fremder, ein Kalang«, fuhr die Frau fort. »Ein Niemand in der hiesigen Hierarchie, wertloser als ein Vogel oder ein Insekt. Ein Wort am falschen Ort, und du bist erledigt. Vielleicht lässt man dich sogar noch ein paar Tage leben, um herauszufinden, woher deine Informationen stammen. Aber wenn sie einmal Verdacht geschöpft und eine Zaramu auf dich angesetzt haben, ist es zu spät.«
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was das überhaupt ist.«
    »Ein Geschöpf, das äußerlich täuschend einer weiblichen Dienstleisterin ähnelt.«
    »Ein Klonmädchen?«, fragte Johnny überrascht.
    Die Frau lachte, aber es klang nicht wirklich amüsiert. »Wer hat dir denn diesen Bären aufgebunden, Johnnyboy? Der Pilot war’s, Pradey, oder etwa nicht?«
    John nickte und schluckte seinen Ärger hinunter. Er hatte die Geschichte tatsächlich geglaubt. Gleichzeitig war er erleichtert, hatte er Ailin anfangs doch ebenfalls für ein solches Geschöpf gehalten.
    »Es war nicht nur der Pilot«, murmelte er, immer noch ein wenig ärgerlich. »In der Sphere kursieren jede Menge Gerüchte und Andeutungen darüber.«
    »Vermutlich hat die Tourismusbehörde diese Geschichten in die Welt gesetzt«, erklärte die Frau verächtlich. »Die Leute lieben das Außergewöhnliche und haben auch nicht so gern ein schlechtes Gewissen. Ein Klon ist für sie ein Ding, mit dem sie anstellen können, was sie möchten. Die Dienstleister lassen sie für gewöhnlich in diesem Glauben.«
    »Und das ist nicht gefährlich?«
    »Doch, manchmal schon, aber die meisten verstehen es, sich zu wehren. Das ist den Betroffenen dann meist so peinlich, dass sie Stillschweigen bewahren.«
    »Trotzdem ein mieser Job«, murmelte John.
    »Aber gut bezahlt. Patonga gilt zwar als Urlaubsparadies, aber 95 % der einheimischen Bevölkerung leben außerhalb der Touristenregion und verdienen im Monat gerade einmal so viel, wie du für ein gutes Abendessen ausgibst. Die Leute in den Bergen hassen die Touristen, aber wenn es ums Überleben geht, verkaufen sie ihre Kinder dennoch an die Clans.«
    John Varley schwieg. Ob Ailin Ramakian auch eines dieser Kinder gewesen war? Er beschloss, das Thema zu wechseln.
    »Und die Zaramus?«
    »Sie sind weder Frauen noch überhaupt Menschen.«
    »Sondern?«
    »Eine Heimsuchung. Niemand spricht darüber, solange es sich vermeiden lässt, so wie auch niemand gern über den Tod spricht.«
    »Aber irgendwo müssen sie doch herkommen?«
    »Darüber weiß ich nichts«, erwiderte die Frau abwehrend. »Ich kann dich nur bitten, vorsichtig zu sein und nichts auf eigene Faust zu unternehmen.« Das »sonst …« ließ sie unausgesprochen.
    »Du wirst mir also helfen?«
    »Vielleicht.« Sie küsste ihn auf die Wange und richtete sich auf. Er hörte Stoff rascheln und wusste, dass sie ihn jetzt allein lassen würde. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, sich ihr anzuvertrauen. Im Grunde wusste er nichts von ihr. Natürlich war er auf Unterstützung angewiesen, aber so, wie es aussah, würde von nun an nicht er, sondern Ailin Ramakian die Entscheidungen treffen. Er war von ihr abhängig …
    »Bis später«, flüsterte ihm die Frau ins Ohr, und dann war sie verschwunden – so leise, dass er nicht einmal hörte, wie die Tür hinter ihr ins Schloss glitt.
    John Varley lag noch lange wach. Die Reise hatte ihn erschöpft, und seine Glieder waren bleischwer, aber die Bilder des Tages gingen ihm nicht aus dem Kopf und auch nicht die seltsamen Wege des Zufalls, dem er die Begegnung mit Ailin Ramakian verdankte.
    Als die Erschöpfung schließlich die Oberhand gewann, begannen draußen bereits die Vögel zu zwitschern, doch das störte John nicht mehr, denn sein Schlaf

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