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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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langen Fensterflucht, hellem Teppichboden und unauffälligem, aber exklusivem Mobiliar. All das nahm Johnny jedoch nur beiläufig wahr, während sein Blick fassungslos zwischen den beiden Toten hin und her irrte.
    Der Mann sah aus, als hätte ihn ein Schlag niedergestreckt; er lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Bauch, den Kopf seltsam nach hinten überstreckt, aber ohne auffällige Verletzung. Erst als Johnny genauer hinsah, bemerkte er den schmalen roten Streifen um seinen Hals, von dem aus Blut auf den beigefarbenen Teppich tropfte.
    Schlimmer war der Anblick der Frau. Sie lag in grotesk verdrehter Haltung neben einem Sessel und hielt die Hände um etwas an ihrem Hals gekrampft, das silbrig schimmerte wie ein Schmuckhalsband. Aber es war kein Schmuck, wie Johnny entsetzt erkannte, sondern etwas anderes, das in der Szene als »sikhanische Brosche« bekannt war: eine elektromechanische Würgeschlange, die von den Triaden als Folter- und Hinrichtungswerkzeug benutzt wurde. Das Gesicht der Frau war blau verfärbt und aufgedunsen, die Augen blutunterlaufen und ihre Zunge hing schwarz-violett aus dem halb geöffneten Mund. Sie musste furchtbar gelitten haben.
    »Die Frau ist selbst schuld«, sagte Ailin Ramakian und trat hinter einem Raumteiler hervor. Sie bewegte sich leichtfüßig wie immer, und ihr Lächeln wirkte weder angespannt noch verlegen. Einzig die unsteten Bewegungen ihrer Finger, die mit irgendetwas spielten, verrieten leichte Nervosität. »Sie hätte nur mit mir reden müssen. Miriam hätte es nicht geschadet, und ich stünde jetzt nicht mit leeren Händen da.«
    Sie hat »ich« gesagt, nicht »wir«, dachte Johnny alarmiert. Also will sie mich gleich mit loswerden. Natürlich konnte er versuchen zu fliehen, aber die Chance davonzukommen war gering. Ailin war jünger, schneller und skrupelloser als er. Und sie besaß immer noch die Waffe, mit der sie den alten Mann getötet hatte. Sobald er ihr den Rücken kehrte, würde sie zuschlagen.
    »Warum?«, fragte er, weniger aus Interesse als, um Zeit zu gewinnen. Seine Stimme klang belegt. »Sie haben niemandem etwas getan.«
    »Doch.« Ailin Ramakian zuckte mit den Schultern. »Sie haben mir Informationen vorenthalten, und der alte Mann wollte unbedingt den Samurai spielen. Was hätte ich denn tun sollen?« Die Frage war rein rhetorisch, aber John konnte sich vorstellen, dass sie sich tatsächlich im Recht sah. Moralische Erwägungen waren ihr fremd.
    »Für wen arbeitest du?«
    »Nicht für dich, John Varley.« Sie lächelte herausfordernd. »Obwohl wir gar kein so schlechtes Team waren, oder?« Die Ironie war unüberhörbar.
    Sie hat es gewusst … von Anfang an.
    »Das ist keine Antwort«, erwiderte Johnny nach einer Schrecksekunde. »Hier geht es immerhin um Mord, und ich stecke verdammt tief mit drin.«
    »Aber das magst du doch sonst gern, Johnny«, bemerkte die Frau mit einem anzüglichen Lächeln. »Außerdem kenne ich die Antwort auf deine Frage ebenso wenig wie du. Ich bekomme Aufträge, und die erledige ich.«
    »Also solltest du die beiden alten Leute umbringen?« Die Schlussfolgerung war keineswegs zwingend, aber irgendwie musste er das Gespräch in Gang halten.
    »Die beiden waren Kalang«, erwiderte sie mit einer Spur Ungeduld in der Stimme. »Folglich gab es diesbezüglich auch keine Festlegungen. Es ging ausschließlich um Informationen.«
    Ailin Ramakians Kaltblütigkeit war wie ein Panzer. In ihrer Welt galten Fremde nicht als Menschen, also hatte sie auch nichts Unrechtes getan. Und so sprach aus ihrer Sicht vermutlich auch nichts dagegen, ihm die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen. Vielleicht schon bald …
    »Aber du hast keine Informationen bekommen«, stellte er fest und räusperte sich. Seine Kehle war vollkommen trocken.
    »Nein, aber was ich habe, reicht, um weiterzumachen. Allein.« Sie lächelte bedauernd, aber ihre Augen fixierten ihn klar und kalt.
    Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
    »Das heißt, ich soll gehen?«, fragte er hastig.
    »So könnte man es auch nennen«, erwiderte sie vollkommen gelassen und ließ den Gegenstand in ihre Rechte gleiten.
    »Das ist nicht dein Ernst, Ailin!« Johnny hoffte, dass sein Erschrecken überzeugend genug ausfiel. Doch als er das Zucken in ihren Mundwinkeln sah, erkannte er plötzlich seine Chance. Er musste sie ablenken – irgendwie.
    »Nach allem, was zwischen uns gewesen ist?«, fügte er ungläubig und zutiefst gekränkt hinzu.
    Ailin Ramakian lachte. Es brach so plötzlich aus ihr

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