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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Eingangstüren der jeweiligen Apartments weder nummeriert waren noch Namensschilder trugen. Offenbar schätzten die Bewohner Diskretion über alles und erwarteten wohl auch keinen unangemeldeten Besuch. Der einzige Hinweis darauf, dass es sich überhaupt um Wohnungen handelte, war das messingfarbene Oval einer Sprechanlage rechts neben den dunkel schimmernden Doppeltüren. Jetzt konnte er nur noch darauf hoffen, dass die Nummerierung einem einigermaßen nachvollziehbaren System folgte und »B« folglich für die zweite Tür von links oder rechts stand. Ein einziger Fehlversuch, und er hatte sich verraten …
    Bevor John dem nach links abbiegenden Gang folgte, blieb er noch einmal stehen und lauschte. Nichts. Wenn Ailin hinter einer dieser Türen war, verhielt sie sich ebenso still wie alle anderen im Haus. Vielleicht hatte sie ja längst bekommen, was sie gewollt hatte, und war gar nicht mehr hier …
    Schluss damit! John wusste nur zu gut, dass er nur nach einem Vorwand suchte. Einem Vorwand, um nicht weiterzugehen zu müssen zu jener Tür dort vorn und dem, was ihn dahinter erwartete. Dabei hatte er gar keine andere Wahl. Er musste sich Gewissheit verschaffen, auch und gerade wegen seines Verdachts und der Furcht, die ihn quälte.
    John ging weiter, Schritt um Schritt, sorgsam darauf bedacht, jedes Geräusch zu vermeiden. Er verschwendete keinen Gedanken mehr an die Möglichkeit, dass es vielleicht die falsche Tür sein könnte, der er sich so übervorsichtig näherte.
    Sie sind hier!
    Woher diese plötzliche Gewissheit stammte, vermochte er sich auch später nicht zu erklären. Vielleicht war da doch ein Geräusch gewesen, so leise, dass er es nicht bewusst zur Kenntnis genommen hatte, der Hauch eines Duftes oder eine jener unterschwelligen Wahrnehmungen, deren physikalischer Ursprung im Dunklen blieb. In jedem Fall war Johnny überzeugt, dass es genau diese Tür war, zu der er sich Zutritt verschaffen musste.
    Er stand jetzt unmittelbar davor, und da von drinnen nach wie vor keinerlei Geräusch zu vernehmen war, heftete er zunächst einen Horcher neben den Türknauf und aktivierte den Audiokanal.
    Nichts. Kein Gespräch, keine Schritte und auch sonst keinerlei Geräusche im Umkreis der Tür, die jetzt wie ein hochempfindliches Körperschall-Mikrofon in den Raum lauschte. Offenbar hielten sich die Bewohner nicht in der Nähe des Eingangsbereichs auf, sondern in einem anderen Raum.
    Das erleichterte Johnnys Vorhaben, zumal ihm der Scanner signalisierte, dass die Tür nicht verriegelt war. Er musste nur die Schlossfalle zurückschieben, um sie aufdrücken zu können. Die mitgebrachte Tastfolie glitt leicht in den Türspalt, folgte der Kontur der Zarge und versteifte sich erst, als sie gegen das entscheidende Hindernis stieß. Ein fester Druck mit beiden Daumen und die Tür war frei.
    John ließ das Einbruchswerkzeug wieder in seinen Taschen verschwinden. Er berührte erneut seinen Talisman – anscheinend war er doch ein wenig abergläubisch – und schlüpfte dann durch die spaltbreit geöffnete Tür in den Vorraum. Lautlos glitt die Tür hinter ihm ins Schloss.
    Im Vorraum war es dämmrig. Einzige Lichtquelle war eine hinterleuchtete Buntglasscheibe, deren kunstvolle Ausführung an ein Kirchenfenster erinnerte. Das Motiv war jedoch fernöstlich: ein dunkelhaariges Mädchen im weißen Sommerkleid vor einem mit Seerosen bedeckten Teich und einem Pavillon im Hintergrund.
    Miriam, dachte Johnny beklommen. Auch wenn es unmöglich war, Ähnlichkeiten mit der jungen Frau festzustellen, die er von Rays Dossier her kannte, glaubte er nicht an einen Zufall. Das Mädchen auf dem Bild war eine, vielleicht die einzige Erinnerung ihrer Pflegeeltern an das Mädchen. Wie auch immer man die Matsumos dazu gebracht hatte, sich an dem Täuschungsmanöver zu beteiligen, sie hatten Miriam nicht vergessen …
    Es war immer noch still, auch hinter der einzigen Tür, die vom Vorraum abging – zu still. Und plötzlich war auch das flaue Gefühl in der Magengegend wieder da, stärker als zuvor. John Varley hatte Angst – hundsgemeine, erbärmliche Angst. Die Vorstellung, sich umzudrehen und einfach wegzulaufen, war verlockend, aber er konnte ihr nicht nachgeben. Nicht nach dem, was er zu wissen glaubte. Er musste hineingehen – jetzt.
    Johns Linke umkrampfte den Talisman, während er mit der rechten Hand die Türklinke herunterdrückte und sie mit dem Fuß aufstieß. Der Raum war größer, als er erwartet hatte, mit einer fast zehn Meter

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