Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
Vom Netzwerk:
verrieb die Flecken auf seinem Hemd. Seine Hand zitterte gerade so sehr, dass er sich Sorgen machen konnte, es aber nicht musste.
    Er knallte die Flasche auf die Arbeitsplatte, sodass sie fast umgekippt wäre und tastete sein Gesicht nach kleinen Geschwüren ab. Es gab keinen Grund dafür – Geschwüre zählten nicht zu den Begleiterscheinungen von HMO A16, aber Tom handelte ohne nachzudenken. Er war so sehr davon überzeugt, sich angesteckt zu haben, dass er kaum noch klar denken konnte und nur noch auf den Ausbruch der Krankheit wartete. Jeden Augenblick musste es soweit sein.
    Sein Magen knurrte und zog sich schmerzhaft zusammen. Wütend riss Tom den Kühlschrank erneut auf. Er nahm zwei Joghurt und eine große Packung Hot Dogs heraus, die er nacheinander verschlang. Dann riss er eine Tafel Schokolade auf und eine Tüte Kekse und aß abwechselnd, wobei er mit Tomatensaft nachspülte. Als nur noch die leeren Verpackungen übrig waren, erinnerte er sich an Ninas Pfefferminzlikör, der seit Monaten unangerührt im Schrank stand.
    Er öffnete den Schraubverschluss, roch an der Flasche und verzog das Gesicht. Das Zeug roch ekelhaft süß, aber es hatte immerhin fünfundzwanzig Prozent Alkohol, besser als nichts. Tom holte sich eine Packung Vanilleeis aus dem Gefrierfach, kippte die Hälfte des Likörs dazu und löffelte die seltsame Mischung, bis er nichts mehr runter bekam. Den Rest warf er in die Spüle. Er war jetzt satt und benebelt. Mehr würde er nicht brauchen. Er hatte seine Henkersmahlzeit zu sich genommen.
    Nun war es Zeit, zu warten. Das hatte er mittlerweile gelernt.
     
    •
     
    Vollkommen erschöpft bog Eva in ihre Straße ein. Sie lief so langsam, dass sie sich beinahe Zentimeter um Zentimeter erkämpfen musste. Sie war unfähig zu begreifen, was sie an einem einzigen Tag erlebt hatte. Stumpf betrachtete sie die Steinplatten zu ihren Füßen, zwischen denen Moos und einzelne Grashalme wuchsen. Sie hatte Angst um Daniel, der möglicherweise an etwas Schlimmerem litt, als einer Erkältung und davor, selbst angesteckt zu werden. Sie war wütend, sich nicht besser auf die Straße konzentriert und das Auto schrottreif gefahren zu haben. Sie war wahnsinnig wütend auf diese Verbrecher, die sie ausgeraubt hatten.
    Geld hatte sie zwar noch im Haus und sie konnte jederzeit etwas abheben – das hoffte sie zumindest, aber den Verlust des Ringes konnte sie nicht so einfach verwinden. Er war das Wertvollste, was ihr von Kai geblieben war. Eva hatte das Gefühl, ihren Mann mit der Herausgabe des Ringes endgültig verlassen zu haben.
    Noch stärker als ihre Angst oder ihre Wut aber war das Gefühl der absoluten Orientierungslosigkeit. Was sollte sie tun? Mit Daniel die Stadt verlassen? Sich verkriechen, bis alles vorüber war? Ihn in eines der überfüllten Krankenhäuser bringen, falls es ihm schlecht ging? Und diese komischen Typen an ihrem Gartenzaun – was, wenn sie immer noch da waren?
    Stärker als sonst wünschte sie sich, dass Kai noch lebte. Er hätte ihr beigestanden. Das hatte er immer getan und es hatte lange gedauert, bis sie es nach seinem Tod geschafft hatte, zurechtzukommen.
    Wie es aussieht, komme ich immer noch nicht klar ohne dich , dachte sie. Überhaupt nicht . Tränen stiegen ihr in die Augen. Eva blinzelte sie weg. Die Sonne verschwand gerade hinter den grauen Dächern der Reihenhäuser und ließ sie allein im Schatten zurück. Niemand sonst war unterwegs. Aus einem angeklappten Fenster drang Musik. Einem Impuls folgend klingelte Eva an der Haustür. Sie kannte die Familie, die hier wohnte, flüchtig. Sie hatten drei Kinder, die mit ihren Fahrrädern manchmal mitten auf dem Fußweg Wettrennen veranstaltet hatten. Der Klingelton drang leise bis nach draußen.
    „Verschwinden Sie!“, rief eine Männerstimme. „Lassen Sie uns in Ruhe!“ Das angeklappte Fenster wurde geschlossen.
    Eva trat von der Haustür zurück. Wenigstens sind sie noch am Leben , sagte sie sich. Aber sie wusste nicht, ob das auf die ganze Familie zutraf.
    Sie lief weiter den Fußweg entlang und als sie die Ecke ihres Hauses erkennen konnte, nahm sie sich vor, sich zusammenzureißen und ruhig zu bleiben, egal, was sich an ihrem Gartenzaun abspielen würde. Langsam, aber gefasst ging sie weiter, die Hände vor dem Bauch zusammengekrallt, sodass sie sich weniger wehrlos vorkam.
    Trotzdem erschrak sie, als sie näher kam.
    Die Fremden waren noch da und sie waren weit zahlreicher als am Vortag. Die Leute versammelten sich vor

Weitere Kostenlose Bücher