Götterdämmerung (German Edition)
gab schweigend einen Code ein. Die Tür öffnete sich beinahe lautlos. Ben musste ein Stück zurücktreten, damit sie nicht gegen seinen Kopf schlug.
„Kommen Sie!“, sagte Nadja. Sie gelangten in einem geräumigen Flur, von dem aus mehrere Türen abgingen. Sie zeigte auf eine unscheinbare Tür auf der linken Seite. „Dort befinden sich –“
„Die Geräte?“
„Kaum jemand weiß, was sich hier unten wirklich befindet. Die meisten denken, es wäre eine Art Lagerraum für veraltetes und unbrauchbares Gerät. Die Räume sind bestens geeignet. Ein Hochsicherheitsbereich in der Zentrale wäre zu auffällig.“ Sie lächelte und führte Ben weiter, in einen Raum auf der anderen Seite, in dem sich nicht mehr befand als ein Schreibtisch mit mehreren Bildschirmen und eine Reihe riesiger Computer. Die in die Wand eingefasste Lampe spendete mattes Licht.
„Was wissen Sie von Kai Drechsler?“, wollte Nadja wissen.
Ben begann zu erzählen. Er erzählte, wie die ersten Erinnerungen plötzlich über ihn hereingebrochen waren. Vor zwei Tagen. Dass es immer mehr wurden, dass sie so intensiv waren und er sie nicht steuern konnte, jedenfalls nicht immer. Er sparte auch seine Verwirrung und die Zweifel über seine Identität nicht aus. Nadja schwieg. Es sah aus, als überlegte sie.
„Hat nie jemand herausgefunden, was sich hier unten wirklich befindet?“ riss Ben sie aus ihren Gedanken. Nadja rieb sich die Stirn. „Nein, niemals. Kaum jemand weiß von diesen Räumen. Ich kann sie an einer Hand abzählen. Die Patienten haben wir in Narkose versetzt, bevor sie hierher gebracht wurden. Sie sind dann auch in einem anderen Raum aufgewacht.“
Ben nickte. Er (Kai) erinnerte sich daran, dass er auf einer Liege gelegen und auf die Narkose gewartet hatte, in einem kleinen Zimmer im zehnten Stock. Wieder sah er die Wände des Zimmers vor sich, betrachtete die in Grüntönen gehaltenen Bilder. Vor Aufregung ging sein Atem flach und schnell. Seine Hände kribbelten. Wenn das Experiment missglückte, würde er das nicht mitbekommen. Wenn es gelang, würde er nach einigen Stunden in einem neuen Körper aufwachen.
„Was ist aus Kai Drechsler geworden?“, fragte Ben.
Nadja öffnete den Mund, sah an ihm vorbei und antwortete mit seltsam fester Stimme, als würde sie einen Laborbericht vorlesen. „Er hat das Labor nicht mehr verlassen. Er ist hier gestorben. Die Kopien seines Gehirns haben wir später als Grundlage unserer Forschungsarbeit benutzt.“
„Als Grundlage“, grübelte Ben. Langsam verstand er die Zusammenhänge.
„Ja. Er war der erste, bei dem das Experiment geglückt ist.“
Nadja kehrte ihm den Rücken zu und schaltete einen der zahlreichen Computer an, die nebeneinander gereiht an der Wand standen. Zwischendurch murmelte sie einige Nummern, bei denen es sich um Codes handeln mochte. Vielleicht. Wenn das alles hier geheim war, gab sie sich jedenfalls nicht viel Mühe, es zu verstecken, fand Ben.
„Warum zeigen Sie mir das alles?“, fragte er misstrauisch.
Nadja drehte sich langsam zu ihm um. Ben starrte auf ihre Hände. Er befürchtete, sie könnten plötzlich nicht mehr leer sein, sondern eine Waffe halten. Kai war hier gestorben. Niemand außer ihm hatte diese Räume als Außenstehender gesehen. Was sollte er da schlussfolgern?
Aber Nadjas Hände waren leer und hingen kraftlos nach unten. Alles an Nadja wirkte kraftlos. Die hängenden Schultern, die glanzlosen Augen, die leicht gebückte Haltung. Das war nicht das Aussehen einer zu allem entschlossenen Frau.
„Ach, es spielt keine Rolle mehr, wer davon erfährt“, erwiderte sie resigniert. „Ich bin hier fertig.“ Nadja wandte ihm wieder den Rücken zu. „Wie war Ihr Name gleich?“
„Maiwald.“
„Okay.“ Sie tippte seinen Namen in die Tastatur. Ben, der einen Teil des Bildschirms erkennen konnte, sah wie Buchstaben und Zahlen den Bildschirm füllten. Nadja las schweigend. Als sie fertig war, stellte sie sich ihm gegenüber und sah ihn an. „Es ist ganz einfach.“
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Der Autopilot hatte frühzeitig abgebremst und so das Schlimmste verhindert. Wahrscheinlich wäre der Wagen sogar rechtzeitig zum Stehen gekommen, wenn Eva nicht in die Steuerung eingegriffen hätte. So aber war er frontal gegen den Laternenmast gekracht.
Eva stieg verwirrt aus dem Wagen. Ihre Hände zitterten und ihr Nacken schmerzte, aber sonst schien ihr nichts zu fehlen. Sie lief nach vorn und starrte auf die Trümmer, die sich auf dem Fußweg verteilten. Die
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