Götterdämmerung (German Edition)
wusste, woran er war, musste er sich und den Neuaufbau der Organisation schützen.
Ursprünglich hatte Oliver vorgehabt mit Hilfe dieses Mädchens alles Wichtige aus Simon rauszuquetschen. „Nummer sieben“ würde schon reden. Das musste er nun verschieben.
Oliver ging ins Schlafzimmer, um nach Vincent zu sehen. Er trat neben das Bett, in dem Vincent lag. Der Kranke sah ihn mit fiebrigem Blick an. Sein blasses Gesicht sah nass und aufgedunsen aus. Die Haare klebten am Kopf. Aber der Typ war stark. Wahrscheinlich würde er durchkommen. Nun, ein paar Opttrical konnten sicher nicht schaden. Er nahm eine der Packungen, die er von Simon bekommen hatte, holte eine der Kapseln heraus und drückte sie Vincent in die Hand. Dann legte er die Schachtel auf den Nachttisch und beugte sich über den Verletzten.
„Ich muss weg, Vince“, sagte er. „Simon wird gleich da sein.“
Vincent nickte schwach.
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Max saß immer noch auf der Bank, als Ben zurückkam. Er schlief. Den Kopf hielt er gesenkt, das Kinn hing fast auf der Brust. Sein Hut war zur Seite gerutscht und drohte herunterzufallen. Auf dem Platz neben ihm lagen eine leere Brötchentüte und sein Spazierstock.
Ben lief auf ihn zu. „Ich bin wieder da“, sagte er laut. Der Alte öffnete die Augen, rückte seinen Hut zurecht und sah den Jungen an.
„Und? Hast du alles erfahren?“
Ben nickte. Er hatte mehr erfahren, als ihm lieb war, aber das behielt er für sich. Vorerst.
„Lass uns zurück ins Schloss fahren!“, bat er.
Max griff nach seinem Spazierstock und erhob sich schwerfällig von der Bank. Trotzdem benutzte er den Stock nicht als Stütze, sondern hielt ihn in der Hand wie ein wertvolles Souvenir. Er warf die leere Verpackung in den Müllsortierer und lief zum Ausgang. Ben folgte ihm.
Bevor sie das Gebäude verließen, blickte Ben in die Halle zurück. Die Wachleute warfen ihm einen unfreundlichen Blick zu. Er sah an ihnen vorbei. Das Blau der Fensterscheiben wirkte mit dem Nachlassen des Lichts kalt und abweisend. Er trat ins Freie – und blieb überrascht auf der obersten Treppenstufe stehen.
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Tom II betrat die Fabrikanlage und blieb wie angewurzelt stehen. Seine metallene Hand schloss sich fest um den Griff der Maschinenpistole. Er hatte den Finger am Abzug. Noch war die Waffe jedoch auf den Boden gerichtet.
Die Roboter, dicht gedrängt wie eine Wand aus Metall, drehten ihm die Köpfe zu. Es war nur eine einzige kurze Bewegung, aber sie genügte um zu erkennen, dass die Maschinen nicht abgeschaltet waren. Tom hörte keine Geräusche. Die Anlagen waren abgestellt, die ganze Fabrikhalle so still wie eine Gruft. Wenn die Roboter kommunizierten, dann geschah es lautlos. Tom konnte die Frequenzen nicht wahrnehmen. Er konnte nicht hören, was sie über seine Ankunft dachten. Ob sie ihn für einen von ihnen hielten.
Möglicherweise warteten sie darauf, dass er sich einreihte. Oder sie warteten auf ein Signal. Irgendeine Bestätigung, dass er berechtigt war, sich hier aufzuhalten.
Tom überlegte, wie er ihnen antworten konnte: Sollte er zu ihnen gehen? Mit ihnen sprechen? Sich vollkommen gleichgültig geben? Hatte er mit einer dieser Optionen eine Chance? Vielleicht interessierten sich diese Kreaturen überhaupt nicht mehr für ihn. Sie hatten registriert, dass er da war und beachteten ihn nicht weiter. Das wäre möglich. Und er könnte unbemerkt verschwinden.
Rückwärts lief er zum Ausgang zurück. Er bewegte sich langsam wie in Zeitlupe, um die Roboter keinesfalls auf sich aufmerksam zu machen. Es war nicht weit bis zum Gang, aber da er jede Bewegung so vorsichtig – so unsichtbar – wie möglich ausführte, dauerte es unerträglich lange, bis er den ersten Schritt zurückgelegt hatte.
Einer der Roboter, ein isopiumbeschichteter Koloss, löste sich aus der Masse. Er trug keine herkömmliche Waffe. Tom bemerkte allerdings eine Öffnung am Arm, die der Mündung einer Waffe sehr ähnlich sah.
„Bleib stehen!“, sagte der Roboter. Er richtete den Arm auf Tom. Das war der Moment, in dem Tom die Nerven verlor.
Er richtete seine Maschinenpistole nach vorn und drückte ab. Der erste Schuss traf den Rumpf des Roboters. Die Kugel prallte von dem Leib aus Isopium ab und blieb in einem der Greifarme der Produktionsanlage stecken. Bei seinem zweiten Schuss zielte er mitten in die Masse der übrigen Roboter und traf eine Maschine, die keine Isopiumbeschichtung aufwies. Die Maschine zuckte kurz. Tom konnte nicht sagen, ob er ihr
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