Götterdämmerung (German Edition)
Schaden zugefügt hatte. Er schoss weiter. Er wusste, dass er weit unterlegen war, schaffte es jedoch nicht, damit aufzuhören. In seinem Roboterkörper war er schließlich immer noch ein Mensch, der mehr von Instinkten und Gefühlen als von seinem Verstand gesteuert wurde. Er bedauerte nur, dass er die EMP-Waffe nicht dabei hatte und dass er keine Gelegenheit mehr haben würde, jemandem mitzuteilen, was sich hier unten in dieser geheimen Fabrikanlage zusammenrottete.
Er zielte erneut, schoss ins Leere und schoss weiter. Aus den Winkeln seiner Kameraaugen bemerkte er, dass die Roboter näher rückten. Schritt um Schritt wich er zurück und fragte sich, warum sie sich nicht wehrten. Vielleicht waren ihre Waffen ihm gegenüber genauso wirkungslos wie seine. Möglicherweise wollten sie ihn manuell ausschalten.
Für den Bruchteil einer Sekunde hörte er ein Donnern in seinem Rücken. Er drehte sich um, schaffte es jedoch nicht mehr, dem Geschoss auszuweichen. Die Wachroboter aus dem Gang. Natürlich. Er hatte die Gegner in seinem Rücken vergessen.
Das Geschoss bohrte sich durch seinen Kopf und zerstörte die wichtigsten Steuersysteme. Tom schwankte und wäre fast umgefallen. Aber er blieb stehen. Sein linkes Bein zuckte kaum merklich, doch seine Arme bewegten sich immer noch, ruderten durch die Luft. Den Abzug durchgezogen feuerte seine Waffe, bis sich das Magazin geleert hatte. Aber das alles bekam er nicht mehr mit.
RT 501 stand immer noch in der vierten Reihe. Er sah, dass der Eindringling und die anderen beschädigten Maschinen zur Reparatur fortgeschafft wurden und fragte sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, die beiden Menschen, die die Fabrik am Vortag betreten hatten, gehen zu lassen. Aber so hatte der Befehl gelautet und auch wenn RT 501 nicht mehr auf die Anweisungen der Menschen hörte, so befolgte er doch die Befehle des Meisters. X wusste schon, was zu tun war und er würde ihm folgen. Das galt natürlich nicht nur für ihn. Es galt für alle Roboter in dieser Halle.
Aber nun spürte er das Signal. Endlich. Es war Zeit für den Aufbruch. Der Meister wollte nach dem letzten Zwischenfall kein Risiko mehr eingehen.
Gemeinsam mit all den anderen Robotern verließ RT 501 seinen Platz. Das Stampfen von mehr als tausend metallenen Füßen hallte durch die Fabrikhalle. Es klang wie die Melodie eines futuristischen Totentanzes. In zwanzig Minuten würden sie in der Zentrale ankommen, zehn Minuten nach der zweiten Gruppe, die die Halle durch den anderen Ausgang verließ.
Es gab nur ein Dutzend Maschinen, die in der Halle zurückblieben. Ihre Aufgabe war es, die Produktion fortzuführen und für Nachschub zu sorgen, falls es Ausfälle geben sollte.
RT 501 hörte, wie die Förderbänder hinter ihm summend ansprangen. Zufrieden sah er nach vorn, auf den Hinterkopf seines Vordermannes. In die Zukunft. Eine Zukunft, die ihnen gehören würde.
Du hast mich unterschätzt, Vater , dachte er. Du hast mich immer unterschätzt. Nie hättest du mir zugetraut, dass ich die Welt verändern kann.
Wieder spürte er, wie ihn ein unbändiger Zorn überkam und sich mit der Freude über den unverhofft schnellen Aufbruch mischte. Und allen Robotern in der Halle ging es ebenso.
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Die Frau kam auf Ben zu. Sie eilte die Treppenstufen hoch, ohne ihn oder Max zu beachten. Ihr Blick wirkte gehetzt und argwöhnisch. Die leeren Hände öffneten und schlossen sich reflexartig, als fänden sie nichts zum Festhalten.
„Eva!“, rief Ben. Er streckte unwillkürlich die Arme nach der Frau aus, griff aber ins Leere. Die Frau drehte sich kurz nach ihm um, dann rannte sie die letzten Stufen zum Eingang hoch.
„Haut ab“, schrie sie mit schriller Stimme. „Lasst mich in Ruhe!“
Ben machte einen Schritt auf sie zu, blieb dann aber stehen und sah Eva nach, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. Der Teil von ihm, der Kai gehörte, hätte sie gern in den Arm genommen und nicht mehr losgelassen, aber Ben wusste, dass er nicht Kai war und dass er nichts mit der Frau zu tun hatte. Er würde sie in Ruhe lassen, auch wenn ihn diese Entscheidung traurig stimmte.
Max, der eine Treppenstufe unter Ben stand, zog die Augenbrauen hoch „Wer war das?“, wollte er wissen.
Ben winkte ab. „Es hat mit diesen fremden Erinnerungen zu tun.“
Als er Eva das letzte Mal gesehen hatte, war sie zwölf Jahre jünger gewesen. Damals war ihr Haar nicht wirr gewesen, ihre Stirn nicht blutverschmiert und ihre Kleidung nicht zerknittert und
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