Götterdämmerung (German Edition)
gekritzelt.
Danach war sie umgezogen, weil sie befürchtete, dass die Einbrecher wiederkehren könnten und es diesmal auf sie abgesehen hatten. Sie hatte in ständiger Furcht gelebt. Bei jedem Klingeln, jedem Geräusch war sie zusammengeschreckt. Und sie musste noch einmal das nötige Geld dafür aufbringen. Beinahe hätte sie es nicht geschafft. Der Transfer war unglaublich teuer gewesen. Er hatte ihr kleines Vermögen fast aufgefressen. Hanna hatte nur Glück, dass ihr das Schicksal ein hohes Alter von fast neun Lebensjahrzehnten schenkte. Denn es dauerte Jahre, bis sie – auch dank eines gewaltigen Darlehens ihrer Schwester – den ganzen Prozess noch einmal bezahlen konnte. Und sie hatte Glück, dass sie weder Alzheimer, noch Altersdemenz oder sonst eine Geisteskrankheit bekam. Dann hätte FUOP-TECH den Transfer aus Sicherheitsgründen abgelehnt.
Die erste Kopie existierte nicht mehr. Die Firma bewahrte die Kopien grundsätzlich nicht auf, da der Transfer illegal war. Hanna glaubte allerdings, dass es der Firma auch auf den Profit ankam. Egal. Sie hatte es schließlich geschafft.
Rache war ein starkes, nutzloses Gefühl, aber die Aussicht auf das, was sie vorhatte, ließ sie eine gewisse Befriedigung verspüren. Ja.
•
Sie musste eine Weile bewusstlos gewesen sein, denn als Eva aufblickte, tasteten sich die letzten Strahlen der Abendsonne zaghaft Hauswände und die Straße entlang, bevor sie von der nächsten Wolke wieder eingesammelt wurden. Der junge Mann hockte neben ihr und hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. „Geht es dir gut? Wir haben einen Arzt gerufen“, meinte er. „Aber es dauert eine Weile bis er hier ist.“
Eva schob die angebotene Hand unwirsch zur Seite und stand auf. Ihre Stirn schmerzte. Sie wischte mit der Hand darüber und als sie spürte, dass ihr Haar verklebt und feucht war, zog sie die Hand hastig zurück. Sie war blutverschmiert. Immerhin schien ihr sonst nichts zu fehlen. Wahrscheinlich handelte es sich nur um eine Platzwunde.
Die anderen Gestalten standen ganz in der Nähe.
„Was machst du denn für Sachen?“, fragte die Frau im gelben Kostüm. Sie hatte Evas Fotokarten aufgehoben und presste sie wie einen Schatz an ihre Brust.
Eva lief langsam – vorsichtig – an den Fremden vorbei. Die beobachteten sie aufmerksam, hielten sie jedoch nicht auf.
„Ich wünschte, du würdest mich erkennen“, bemerkte der junge Mann. „Dann wüsstest du, dass du keine Angst vor mir zu haben brauchst. Alles könnte so sein wie immer.“ Die anderen nickten.
„Ich will nur bei dir sein. Das ist alles“, fügte die Frau in Gelb hinzu. „So wie früher.“
Eva stand auf. Dann rannte sie davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
Sie wurde erst langsamer, als sie außer Sichtweite ihres Hauses war, aber selbst da wagte sie nicht, sich umzusehen. Ihre Füße schmerzten, die Fersen brannten vom vielen Rennen und an beiden großen Zehen hatten sich Blasen gebildet. Am liebsten hätte sie ihre Pumps einfach ausgezogen, aber sie wollte nicht riskieren, in eine der zahlreichen Scherben zu treten, die überall herumlagen. Besser sie hielt noch eine Weile in den Schuhen durch. Sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte.
Nachdem Eva ein paar Straßen weiter gelaufen war, hielt sie an und drehte sich vorsichtig um. Niemand war ihr gefolgt. Sie wählte Daniels Nummer und sprach auf den Anrufbeantworter, wo er sie finden konnte. Dann informierte sie den Notdienst, damit der sich um ihren Sohn kümmerte. Sie war dazu nicht in der Lage. Die Gestalten ließen sie nicht durch.
Sie musste wissen, was hier vor sich ging.
Der einzige Ort, an dem sie möglicherweise eine Antwort bekommen konnte, war diese Firma, in der Kai gestorben war. Irgendetwas war dort passiert. Je länger Eva darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass ihr Gefühl nicht trog. Nicht weil Kai die letzten Stunden seines Lebens dort verbracht hatte, sondern weil in jenen Tagen, bevor er sie im Morgengrauen verlassen hatte, eine Veränderung in ihm vorgegangen war – nach dem Besuch dieses Wissenschaftlers, der sich ihr als Arzt vorgestellt hatte, aber nur ein einziges Mal dagewesen war.
Kai war nach langer Zeit wieder aufgeblüht. Und er hatte gelacht. Richtig gelacht, voller Hoffnung und Lebensfreude, wie sie es in den letzten sieben Monaten kein einziges Mal mehr bei ihm gesehen hatte. Ihre Fragen nach dem Grund seiner Fröhlichkeit hatte er jedoch abgewehrt. Er hatte ihr auch nicht gesagt, was er bei FUOP-TECH
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