Götterdämmerung (German Edition)
Wange.
„Ich wusste, dass es irgendwann rauskommt“, sagte sie. „Aber ich wollte nicht, dass ihr es so erfahrt. Wirklich nicht.“ Sie drehte den zerbeulten Kopf zu Simon. „Beeilt euch. Ich halte euch den Weg frei.“
„Nein“, widersprach Simon. „So einfach geht das nicht. Ich will wissen, was hier gespielt wird. Wer bist du?“ Ihm war bewusst, dass er besser auf Isabelles Rat hören und die Garage verlassen sollte, solange noch Zeit war, aber er konnte nicht gehen. Nicht bevor er seinen Schock überwunden hatte und die drängendsten Fragen beantwortet waren.
„Also gut“, sagte Isabelle. „Ich bin ein HR-2-Roboter.“
„Was bedeutet das?“
„Diese Baureihe gibt es erst seit einem halben Jahr. Ein Nischenprodukt, das sich nur wenige leisten können und das offiziell nicht zugelassen ist. Eigentlich dürfte ich gar nicht existieren. Nicht in dieser Gestalt und mit einem Bewusstsein. Die Vorgaben lauten, dass Roboter stets als solche erkennbar sein müssen.“
„Und weiter?“
„Im Prinzip bin ich eine Art Geheimwaffe. Ein künstlicher Undercover-Agent. Ich bin hergestellt worden, um einen Auftrag zu erfüllen. Nur dafür.“
„Welchen Auftrag meinst du?“, fragte Simon misstrauisch, aber langsam formte sich ein erster Verdacht.
„Ich sollte terroristische Organisationen ausspionieren und bei ihrer Zerstörung helfen. Organisationen wie Spirit. Die Wissenschaftler, die ihr bekämpft, haben mich produzieren und programmieren lassen.“
Simon starrte sie fassungslos an und wartete. „Weiter!“, forderte er sie auf. „Was noch?“
„Ich war es, die den Überfall auf das Lagerhaus zu verantworten hat. Ich habe die Koordinaten und den Zeitpunkt eures letzten Treffens herausgefunden und weitergegeben, ebenso wie die Daten sämtlicher Mitglieder.“
„Mein Codewort“, murmelte Simon. „Das warst du? Aber woher kanntest du es?“
Isabelle sah ihn an. Trotz der Verletzungen wirkte ihr Blick mitleidig und abschätzig. „Das war nicht besonders schwierig. Die ersten vier Stellen entsprechen dem Geburtsdatum deiner Tochter. Die letzten beiden ihren Initialen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich die übrigen zwei herausfand.“
Simon überlegte. „Spirit hat bemerkt, dass jemand meinen Code benutzt hat.“
„Das spielte keine Rolle. Du warst nicht mehr wichtig. Die Organisation stand kurz vor ihrem Ende.“
„Was hast du bloß getan?“, flüsterte Simon.
„Die Frage ist, was du getan hast. Du und deine Freunde. Sieh es mal so: Ihr habt Verbrechen begangen. Wir haben euch dafür zur Rechenschaft gezogen. Das ist alles. Ihr hattet keine Daseinsberechtigung.“
„Warum hilfst du mir dann jetzt?“, fragte Simon heiser und drückte Yasmin noch enger an sich. „Oder ist das eine Falle? Willst du ausspionieren, ob ich immer noch Kontakt zu Spirit habe? Was ich als nächstes unternehme?“
Isabelle schüttelte den Kopf und versuchte mit ihrem entstellten Gesicht zu lächeln. Eine grausige Grimasse, die Simon mehr erschreckte, als beruhigte.
„Keine Falle.“ Sie wies auf die offene Garagentür nach draußen. „Das ist nicht mein Krieg. Niemand von uns wollte das. Die meisten von uns kämpfen selbst ums Überleben. Und wir führen auch keinen Kampf gegen Millionen Unschuldige wie die Maschinen da draußen. Wir wollten nur in Ruhe gelassen werden und forschen.“
„Das ist alles?“
„Ja. Ich wollte raus aus der Stadt, zu meinen Auftraggebern. Und ich konnte das Kind nicht einfach allein lassen. Deshalb habe ich dich angerufen.“
„Wie rührend.“
„Es gibt keine Verteilstellen, Simon“, sagte Isabelle. „Bis jetzt existiert noch kein Gegenmittel gegen HMO A16. Es tut mit leid.“
„Nein“, erwiderte Simon. Seine Stimme klang rau. „Das ist nicht wahr. Wir brauchen das Mittel doch.“ Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie konntest du das tun? Uns so belügen?“
„Ich wollte sicherstellen, dass wir so schnell wie möglich das Haus verlassen. Bevor wir keine Möglichkeit mehr haben, aus der Stadt zu kommen“, erklärte Isabelle. Das lose Auge löste sich und landete mit einem leisen Klirren auf ihrem Schoß. „Sicher wird irgendwann ein Gegenmittel gefunden.“
„Ich habe mir geschworen, jeden Roboter zu töten, der mir die Gelegenheit bietet“, sagte Simon hasserfüllt. „Und du bietest mir noch dazu jeden Grund.“
„Das würde dir auch nicht weiterhelfen“, meinte Isabelle und wandte sich von ihm ab. Ihre Aufgabe war an dieser Stelle erfüllt.
Weitere Kostenlose Bücher