Götterdämmerung (German Edition)
Ursache für ihre Fehlsteuerung finden. Außerdem geht in der Produktionshalle etwas Merkwürdiges vor.“ Sie senkte die Stimme noch mehr, flüsterte beinahe. „Ich glaube, das hat mit ihm zu tun. Macht dich das nicht nervös?“
„Bis jetzt nicht. Außerdem: Kein Problem, für das es keine Lösung gäbe.“
„Ist das jetzt optimistisch oder dumm?“
„Such dir was aus.“
Nadja schüttelte den Kopf. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Das Gefühl, dass die Welt aus den Fugen geraten war. Dass etwas begonnen hatte, dessen Folgen sie nicht im Geringsten abschätzen konnte. Sie senkte den Kopf und starrte auf das Blümchenmuster ihrer Serviette. „Wir hätten es nicht tun sollen“, sagte sie schließlich. Martin rutschte mit seinem Stuhl näher an den Tisch heran und beugte sich zu ihr herüber.
„Was meinst du damit?“, fragte er in gedämpfter Lautstärke. Das Schwarz seiner Pupillen funkelte.
„Das weißt du genau.“ Nadja sah ihn an, versuchte seinen Blick zu durchdringen und Zugang in seine von jeglichen Zweifeln abgeschirmte Welt zu finden.
Martin presste die Lippen aufeinander. „Was redest du bloß für einen Quatsch?“, zischte er. „Denkst du, wir wären heute hier, wenn wir das damals nicht durchgezogen hätten?“
Ich wäre um diese Uhrzeit wahrscheinlich zu Hause , dachte Nadja. Und hätte eine Familie. Sie zerbröselte einen Keks zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Hätten wir es nicht getan, dann jemand anderes“, ergänzte Martin.
„Ist das deine Ausrede?“
„Das ist eine Tatsache.“
„Es war trotzdem falsch.“
„Das hättest du dir vorher überlegen müssen.“ Er lehnte sich zurück und musterte Nadja kühl. „Du machst dir Gedanken über Dinge, die du nicht ändern kannst. Lass es bleiben.“ Trotzig stand er auf, beugte sich jedoch noch einmal zu ihr herunter. „Weißt du, früher warst du attraktiver.“ Er streckte den Rücken durch, drehte sich um und verließ das Bistro. Nadja sah ihm nicht nach. Sie mochte Hübner nicht. Aber sie beneidete ihn um seine Sorglosigkeit.
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Eva stieg zwei Haltestellen früher als üblich aus dem Bus, der sie von der Arbeit nach Hause brachte. Der Wind hatte an Kraft zugenommen, aber durch die zerfetzte Wolkendecke schien die Sonne und lud zu einem Spaziergang ein. Es war ungewiss, wie viele schöne Tage es noch geben würde, bevor der Spätherbst und schließlich der Winter Einzug hielten. Nicht mehr lange und es war um diese Zeit schon dunkel. Eva schloss die Augen zu einem schmalen Spalt und genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. Ein Vogelschwarm flog über sie hinweg. Er glich einer Harpunenspitze, die kreischend die Wolken durchbohrte.
In der Nähe befand sich Don Pepe, ihr Lieblingsitaliener und Eva beschloss, sich etwas Lasagne für das Abendbrot einpacken zu lassen. Daniel wollte am Abend eine Veranstaltung an der Uni besuchen und danach bei einem Freund übernachten. Sie musste es sich also allein zu Hause gemütlich machen. Eva seufzte, beschloss aber, sich daran zu gewöhnen. Daniel war erwachsen geworden, er würde bald endgültig ausziehen. Sie überlegte, wie oft sie ihm einen Anruf zumuten konnte. War einmal täglich okay? Oder jeden zweiten Tag? Wahrscheinlich nicht. Sie konnte ja die Häufigkeit ihrer Anrufe drosseln, sobald sie sich an das Alleinsein gewöhnt hatte.
Zwanzig Minuten später trat Eva mit einem Kunststoffbehälter voll Lasagne aus dem Restaurant. Die Sonne war inzwischen hinter den Häuserdächern verschwunden. Im Schatten war es kühl und sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis unters Kinn. Es war nicht mehr weit bis nach Hause, aber anstatt die letzten Meter zügig zurückzulegen, zögerte sie. Ob der komische Kauz immer noch vor ihrem Grundstück stand? Sie hatte von ihrem Büro aus die Psychiatrie angerufen, doch alles, was man ihr mitteilte, war, dass keiner der Insassen vermisst wurde. Na toll! Sie dachte daran, wie sie am Morgen mit Daniel zusammen das Haus verlassen hatte. Der fremde Mann hatte sich kaum geregt, lediglich den Kopf bewegt, um ihnen nachzuschauen. Er war ihnen nicht nachgelaufen, hatte nichts gesagt oder gerufen, nicht gewunken. Er hatte tatsächlich verwirrt ausgesehen. Als verstünde er selbst nicht, was er da eigentlich machte.
Eva überquerte die Straße, bog in die nächste Seitenstraße ein und streckte den Hals, um ihr Haus sehen zu können. Den komischen Kauz konnte sie nicht ausmachen. Erleichtert beschleunigte sie ihren Schritt, blieb jedoch wenige Meter
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