Götterdämmerung (German Edition)
vom Eingang entfernt abrupt stehen. Der Mann war immer noch da.
Langsam löste er sich aus dem Schatten eines Baumes und lief ihr entgegen, so als hätte er nur auf sie gewartet. Drei Meter von Eva entfernt blieb er stehen und betrachtete sie aufmerksam.
Eva klammerte die rechte Hand fest um den Kunststoffbehälter mit der Lasagne.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, wandte sie sich mit dünner Stimme an den Mann. Der Fremde antwortete nicht. Vielleicht hatte er sie überhaupt nicht gehört. Aber er war stehen geblieben. Rührte sich nicht.
Eva lief an ihm vorbei. Hastig drückte sie den Öffner-Knopf neben der Hauseingangstür, der die Gesichtserkennung aktivierte und die Tür freigab.
Der Fremde bezog wieder Position am Zaun.
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Aufgewühlt trat Tom auf die Straße hinaus und zündete sich eine Zigarette an. Er trug immer noch seine Uniform. Headset und Waffen hatte er entgegen der Vorschriften im Wagen gelassen. Letztere waren ohnehin nur nach erfolgreichem DNA-Scan einsetzbar und in einem Fach im Boden des Fahrzeuges gut versteckt. Den EMP-Werfer-Aufsatz würde er wieder in der Zentrale abgeben müssen, aber das hatte auch bis morgen Zeit. Sein Arbeitstag war lang genug gewesen.
Er hatte sich nun doch noch in der kleinen Kneipe an der Ecke seinen Whisky gegönnt, allein diesmal und ohne Schulterklopfen, schließlich war er nicht erfolgreich gewesen. Der RT 501 befand sich immer noch in den Händen von FUOP-TECH und der Teufel allein wusste, was er in diesem Moment gerade anstellte.
Beruhige dich , ermahnte er sich. Die Techniker von FUOP-TECH werden ihn sicher unter Kontrolle haben.
„Die sollen ihn gefälligst rausrücken“, knurrte Tom und beschloss, so bald wie möglich mit einer richterlichen Verfügung anzurücken. NT-Security arbeitete so eng mit der Polizei zusammen, dass es kein Problem darstellen sollte, die Verfügung zu bekommen, allerdings nicht mehr heute. Außerdem brauchte er einen Fachmann, der ihn begleitete und offiziell bestätigen konnte, dass es sich um die richtige Maschine handelte. Bis Tom die Verfügung hatte, konnte FUOP-TECH allerdings alles Mögliche mit dem Roboter anstellen. Die komplette Software konnte gelöscht worden sein, bis er endlich die Herausgabe durchgesetzt hatte. Vielleicht war der Roboter auch längst ausgetauscht worden.
Er nahm einen Zug aus seiner Zigarette und sah zu, wie der Wind den Rauch auseinander blies. Sein Van stand ganz in der Nähe. Er würde ihn vorerst stehen lassen. Das kleine Stück bis zu seiner Wohnung konnte er auch laufen. Außerdem hatte er getrunken. Sein persönlicher Trunkenheitsseismograph zeigte allerdings nur Stärke drei an: Keine spürbaren Erschütterungen, keine Zerstörungen von Nervenzellen. Dazu war ein Glas Whisky einfach zu wenig. Wieder nahm Tom einen Zug aus seiner Zigarette, da bemerkte er, dass sich ihm jemand näherte: ein glatzköpfiger Mann mit Vollbart. Er trug eine braungrün gemusterte Armee-Jacke und wirkte ungepflegt.
„Kann ich auch mal?“, nuschelte der Mann und schielte gierig auf die Zigarette.
Tom verzog das Gesicht und hielt ihm die Zigarette hin. „Ach, was soll’s“, sagte er. „Macht mich eh krank.“ Er hustete.
Der Mann grinste und nahm einen tiefen Zug. „Das ist gut. Danke, Mann.“ Er stierte Tom von der Seite an. „Ey, hast du vielleicht noch ’n paar Euro für mich? Hab noch nich’ viel gegessen heute.“
„Bin ich die Wohlfahrt?“, entrüstete sich Tom, reichte ihm aber einen Fünf-Euro-Schein. „Ich muss weiter. Hab heute nämlich auch noch nicht viel gegessen.“
Der glatzköpfige Mann grinste, wechselte die Zigarette in die linke Hand und griff mit der rechten Hand unter seine Jacke. Als er die Hand wieder hervor holte, hielt sie einen Gegenstand. Noch bevor Tom erkennen konnte, worum es sich dabei handelte, fiel ein Schuss. Er fasste sich an die Brust und sank in die Knie. Der glatzköpfige Mann schoss ein zweites Mal. Tom stürzte zu Boden.
Der Mann beugte sich über ihn, entriss ihm das Portemonnaie und hob zum Abschied die Hand mit der Zigarette. Dann verschwand er in der Dunkelheit.
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Die alte Frau lag mit geschlossenen Augen in der viel zu großen Badewanne und dachte nach. Darüber, was sie in achteinhalb Lebensjahrzehnten alles erlebt hatte. Darüber, was noch kommen konnte. Und darüber, wie lange dieses Leben noch dauern würde. Sie tastete nach dem Schwamm und ließ sich warmes Wasser über Nacken und Brust laufen. Dann öffnete sie
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