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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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packe sie selbst aus. Aber darin bin ich wirklich gut.“
    „Was soll ich dann helfen?“
    „Gar nichts. Ich wollte dich nur in der Küche haben.“
    Sophie lief zu dem Timer, der neben der Tür an der Wand befestigt war und schaltete ihn ein. Dann drehte sie sich mit lauerndem Blick zu Ben um.
    „Wir haben jetzt drei Minuten Zeit, uns besser kennenzulernen. Also erzähl mir was von dir! Aber etwas Interessantes.“ Sie trat dicht an ihn heran, streifte seinen Arm.
    „Ich, ich weiß nicht, was“, murmelte Ben und drückte seinen Rücken gegen den Türrahmen. „Ich will bloß die Tür schließen“, sagte Sophie und streifte wieder seinen Arm. „Oder was denkst du? Soll ich sie schließen?“
    „Okay.“
    „Okay? Mehr nicht?“
    Ben holte tief Luft und überlegte, ob er sie jetzt küssen musste und ob er das überhaupt wollte. Er war sich nicht sicher, was er wollte. Instinktiv wich er mit dem Oberkörper vor ihr zurück, aber der Türrahmen schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein. Er bemerkte, dass Sophie blinzelte, als sich ihr Gesicht seinem näherte. Dann fühlte er ihre Lippen auf seinem Mund. Ihre Hände fuhren durch sein volles Haar, glitten seitlich am Hals hinab und blieben dann auf seinen Schultern liegen. Ihr Parfüm roch leicht nach Minze.
    Ben rührte sich nicht. Er schaffte es nicht, sich aus seiner Starre zu lösen, fühlte sich wie ein Gefangener seiner eigenen Verlegenheit. Oder wie ein externer Beobachter, ein fremder Geist in seinem Körper, der alles sieht und für später speichert, aber dennoch nichts fühlt – nur die Aufregung, die alle anderen Gefühle überlagerte und ihn lähmte. Diese Aufregung spürte Ben ganz deutlich. Dann meldete sich der Timer und Sophie ließ ihn los.
    „Du hast mir nicht viel erzählt“, meinte sie. Ben sah sie verständnislos an. Sophie lachte. „Du hattest noch nie was mit einer Frau, hab ich Recht?“, fragte sie. Es klang weder spöttisch noch enttäuscht, nur neugierig. Ben schüttelte den Kopf und sah verlegen an ihr vorbei zum Fenster, das abgedunkelt war, aber kein Programm bot.
    „Wie alt bist du eigentlich?“, wollte Sophie wissen, während sie die Hamburger auf zwei Teller verteilte.
    „Fast sechzehn.“
    „Fast sechzehn? Du siehst viel älter aus. Hätte ich gewusst, dass du erst fünfzehn bist, dann …“ Sie sprach den Gedanken nicht zu Ende und stellte zwei Gläser und eine Flasche Energy Cola daneben. Dann forderte sie ihn auf, sich neben sie zu setzen und schob ihm einen Teller hin.
    „Betrachte den Kuss einfach als Geschenk von mir“, sagte Sophie und lächelte.
    Ben lächelte zurück und biss schnell in seinen Hamburger, um nicht mehr reden zu müssen. Er schmeckte zäh und fad. Hätte er in einen Gummiball gebissen, hätte es keinen Unterschied gemacht, trotzdem kaute er weiter. Wenigstens konnte er auf seinen Teller starren, solange er sich mit dem Hamburger beschäftigte.
    In der letzten Zeit hatte er nicht mal an Mädchen gedacht . Wie sollte er auch, wo er kaum Kontakt zu anderen Menschen gehabt hatte. Er hatte nicht viel mehr gekannt als sein Zimmer, seine Eltern und das Arbeitszimmer seines Vaters, in dem er die meiste Zeit über mathematischen Formeln brütete. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er sich doch einmal außerhalb der Villa aufgehalten hatte, war er in Gedanken stets bei seinen Aufgaben gewesen: Einkaufen, die Garage aufräumen, den Rasenmäher programmieren. Wenn er in den letzten zwei Jahren überhaupt an etwas anderes gedacht hatte, dann an seinen Lieblingscomic. Hatte er wirklich nicht mehr erlebt in den letzten zwei Jahren?
    Er nahm sich vor, alles was er verpasst hatte, nachzuholen. Aber nicht im Schnelldurchlauf. Er konnte zwei Jahre nicht innerhalb weniger Stunden ausgleichen.
     „Ich gehe jetzt duschen“, sagte Sophie. „Du kannst auf der Couch schlafen, wenn du möchtest.“
    „Danke.“
    „Schon gut.“ Sie winkte ab. „Ich bin müde. Überleg dir das mit meinem Angebot!“
    Sie verließ die Küche und ließ ihn allein.
     
    •
     
    Unruhig lief Simon im Kontrollraum auf und ab. Es war kurz nach halb ein Uhr nachts. Jeden Moment musste der Anruf eingehen. Durch die geschlossene Tür drangen die dumpfen Schritte der Roboter auf dem Gang. Der Pfleger lehnte seinen Kopf gegen die Tür und horchte. Die Schritte entfernten sich genauso langsam wie sie sich genähert hatten. Er kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen. Wie es wohl wäre, auf die Roboter zu schießen? Er würde es

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