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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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größte Schwachstelle des Hauses waren wohl die Fenster. Eva schätzte, dass es für den Mann kein großes Hindernis darstellen würde, durch die Fenster ins Haus zu gelangen. Er brauchte bloß eines einzuschlagen. Das würde genügend Lärm verursachen, um sie zu alarmieren, aber was nützte ihr das schon? Bis die Polizei hier eintraf, konnten viele Minuten oder sogar Stunden vergehen.
    Natürlich würde nur ein Verrückter so viel Lärm machen – allerdings schien der Fremde genau das zu sein, auch wenn die Psychiatrie angeblich nichts von ihm wusste. Wie sonst konnte man erklären, dass er seit über vierundzwanzig Stunden an ihrem Gartenzaun stand und sich kaum von der Stelle rührte? Ein wirklicher Einbrecher hätte längst Gelegenheiten genug gefunden, ins Haus zu kommen.
    Ein Mörder wahrscheinlich auch , dachte sie. Es sei denn, er wollte ihr absichtlich Angst machen. Es auskosten, wenn sie sich geduckt am Fenster zeigte, wenn der Vorhang sich bewegte und sie verriet oder das Licht die ganze Nacht hindurch brannte. Dass der Mann verrückt sein musste, stand für Eva fest. Und solange sie die Frage, was er hier wollte , nicht beantworten konnte, musste sie auf der Hut sein.
    Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz nach drei. Sie hatte also länger als eine Stunde geschlafen, so ein Mist! Wenn sie jetzt aus dem Fenster sah und den Mann nicht mehr entdeckte, konnte sie nicht sicher sein, ob er weggegangen war oder sich längst im Haus befand.
    Sie schlug ihre Decke zur Seite, reckte sich und stand langsam auf. Dann schaltete sie das Licht aus. Ein paar Minuten blieb Eva einfach nur stehen, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten und lauschte. Sie hörte ihre Uhr, die leise tickte, das Summen des Kühlschranks, ein Flugzeug in weiter Ferne. Ansonsten war es still.
    Der Verrückte muss den Rhythmus aus Dunkelheit und Licht längst durchschaut haben, dachte sie sich. Er wird ganz genau wissen, dass es Zeit für mich ist, ans Fenster zu gehen. Zeit für ihn, sich zu zeigen.
    Egal. Die Neugierde siegte.
    Mit steifen Gliedern schlurfte sie zum Fenster und zog vorsichtig den Vorhang zur Seite. Da stand er. Direkt am Zaun, im hellen Licht einer Straßenlaterne. Und er war nicht allein. Diesmal hatte er Gesellschaft.

Vier
     
     
    30. Oktober 2045
     
    Niedergeschlagen holte Simon seine Sachen aus dem Schließfach und tauschte die weiße Klinikkleidung gegen seine Jeans und das weiße T-Shirt. Er hätte jetzt gern etwas gehabt, was ihn beruhigte. In seiner Tasche fand er einen Kaugummi. Er packte ihn aus, drehte ihn lustlos zwischen den Fingern und steckte ihn dann in den Mund. Das alte Ding hatte schon Wochen in seiner Tasche zugebracht und normalerweise würde er sich strikt weigern, etwas zu essen, was kurz vor dem Verfallsdatum stand. Aber heute war eben kein normaler Tag. Es war ein Scheißtag!
    Zuerst der Reinfall mit dieser Maiwald-Kröte und dann auch noch die verpatzte Aktion heute Nacht. Obwohl Simon nach den Doppel- und Nachtschichten der letzten Tage matt und ausgelaugt war, spürte er die Erschöpfung nicht. Dazu war er viel zu wütend. Er hatte sich monatelang auf diesen Tag vorbereitet und dann konnte Oliver sich nicht einmal melden, um den Überfall abzublasen? Was sollte er davon halten?
    Er schlug mit der Faust gegen seine Spindtür, die daraufhin krachend zuschlug. Aus den Augenwinkeln sah er, dass ein anderer Pfleger missbilligend den Kopf schüttelte und demonstrativ den Raum verließ, als wollte er sagen, dass es unter seiner Würde sei mit solch einem Idioten wie ihm den Raum zu teilen.
    „Ja, hast Recht“, knurrte Simon ärgerlich. „Ich will dich auch nicht sehen.“
    Er nahm seine Tasche und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu, als er bemerkte, dass Isabelle neben ihn trat. Ihr Spind befand sich schräg gegenüber.
    „Du hast wohl zu viel Energie?“, fragte sie. „Wenn du willst, kannst du meine Schicht heute Abend übernehmen.“
    „ Die haben dir heute Abend noch eine Schicht gegeben?“, fragte Simon überrascht. „Nach einem halben freien Tag?“ Er überlegte, wie laut er gegen den Spind geschlagen haben musste, wenn das Geräusch bis draußen zu hören gewesen war. Er sollte sich besser im Griff haben.
    Isabelle zuckte mit den Schultern. „Die kennen da gar nichts.“ Sie lehnte sich gegen den Schrank, löste ihren Pferdeschwanz und schüttelte ihr Haar, bis es wie ein schwarzer Wasserfall über ihre Schultern fiel.
    „Hast du einen Moment Zeit?“ Sie sah ihn mit

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