Götterdämmerung (German Edition)
zu gerne sehen. Würde es Metall und Plastik regnen? Würden ihre Bauteile anfangen zu schmoren? Würden die Roboter einfach umfallen? Konnten sie Schmerzen empfinden, irgendwie, auf ihre eigene Art, indem sie ihre Erlebnisse zusammenrechneten, um sie zu verarbeiten? Sicher nicht. Sie waren schließlich keine Lebewesen, sondern nur aus hunderten Bauteilen zusammengesetzte Maschinen. Objekte. Vergleichbar mit ausgedienten Automobilen, die in der Schrottpresse landeten. Denen mochte ihr Besitzer durchaus eine Weile nachtrauern, aber deshalb blieben die Wagen doch seelenlos. Und von Trauer konnte bei Simon sowieso keine Rede sein.
Leider würde er von der Zerstörung der neuen Roboter nicht viel mitbekommen. Nichts durfte darauf hinweisen, dass er in den Überfall verwickelt war. Sein Posten war hier oben. Und Oliver setzte ohnehin sein EMP-Geschoss ein. Das war schneller und effektiver als herkömmliche Waffen. Die brauchten sie nur, falls etwas schiefging.
Simon fiel ein, dass auch die beiden Fahrer und der Logistikmitarbeiter aus dem Weg geschafft werden mussten. Daran ließ sich nichts ändern. Was bedeuteten drei Menschenleben, wenn damit weit über hundert Existenzen gesichert wurden? Sechzig Jobs, die erhalten blieben und an denen das Wohl ganzer Familien hing. Auch wenn es miese Jobs waren.
Wieder sah er auf den Chronometer. Kurz vor eins. Kein Anruf. Nervös knetete Simon seine Finger, die zu kribbeln begonnen hatten. Der verabredete Zeitpunkt war längst überschritten. Wenn sie die beiden LKW überhaupt noch erwischen wollten, musste der Anruf jetzt erfolgen. Jetzt!
„Komm schon, Oliver“, murmelte er. „Melde dich!“
Er lief aus dem Zimmer über den Gang in den kleinen Aufenthaltsraum. Von dort ging ein Fenster in den Innenhof. Der Hof war leer. Aber die Lieferung musste jeden Moment eintreffen. Wo um alles in der Welt blieben die bloß?
Simon erschrak, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde. Hektisch drehte er sich um. Isabelle.
„Was ist los?“, fragte sie. „Hab ich dich erschreckt?“ Sie lächelte. Ein Lächeln, das nur Isabelle hinbekam. Sie hatte strahlend weiße Zähne, die zwischen den halb geöffneten Lippen hervorblitzten und Grübchen, die ihren Mund einrahmten.
„Ich dachte, du hast Frühschicht?“, murmelte er überrascht. So sehr er in Isabelle verliebt war, in diesem Moment störte sie ihn.
„Ich wollte eben noch ein bisschen früher da sein“, erwiderte Isabelle. „Nein, im Ernst: Die haben meine Schicht getauscht. Ich musste nur bis eben noch auf einer anderen Station aushelfen. Was ist los? Freust du dich nicht?“ Sie wollte ihm einen Kuss geben, aber Simon blockte ab.
„Tut mir leid. Ich bin etwas überarbeitet“, entschuldigte er sich und versuchte ein Lächeln, während er auf jedes Geräusch lauschte, das vom Hof zu ihnen nach oben getragen wurde. Verdammt, ausgerechnet jetzt. Wenn Oliver jetzt anrief, konnte er nicht einmal frei sprechen.
Isabelle sah sich in dem Raum um. „Kein Wunder, dass du so schreckhaft bist. Die ganze Nacht allein …“
„Von wegen allein“, Simon machte eine Kopfbewegung zur Tür. „Die Blechbüchsen sind doch da. Meistens jedenfalls.“
„Na ja, da wäre ich lieber wirklich allein. Ich finde die Dinger irgendwie unheimlich.“
„Stimmt. Geht mir genauso.“ Simon lachte. Dann erinnerte er sich wieder an den ausbleibenden Anruf und das Lachen gefror in seinem Gesicht.
„Was hast du denn?“, fragte Isabelle. Simon winkte ab. Vom Hof kam ein leises Quietschen. Er lief wieder zum Fenster und sah, dass das Außentor geöffnet wurde. Die beiden LKW fuhren auf den Hof.
„Die kriegen schon wieder eine Lieferung“, sagte er düster. Dann stürzte er aus dem Raum, weil er seine Niedergeschlagenheit nicht länger verbergen konnte.
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Eva erwachte mit heftigen Rückenschmerzen in ihrem Sessel. Wenn man länger als eine halbe Stunde zusammengerollt auf diesem Sessel saß, rächte sich das. Jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte. Schwerfällig beugte Eva sich vor und streckte sich. In Gedanken sah sie schon wieder den Fremden vor sich. Wie er am Gartenzaun stand. Lauerte. Ihre Beine kribbelten, jedoch nicht so sehr wie ihre Gedanken.
Bevor sie eingeschlafen war, hatte Eva sich umgezogen, sodass sie jederzeit das Haus verlassen oder die Polizei rufen konnte, falls der unheimliche Fremde näher kam. Sie trug eine beigefarbene Hose und einen bequeme Bluse. Die Haustür hatte sie gesichert, ebenso die Terrassentür. Die
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