Götterdämmerung (German Edition)
Fahrstuhltüren hinter ihm schlossen, atmete er hörbar auf. Geschafft.
„Was verbirgst du vor mir, Eisenberg?“, murmelte er und fragte sich, ob die unsichtbaren Kameras, die zweifellos an Decke und Wänden versteckt waren, nur sein Gesicht aufzeichneten oder auch seine Stimme. Er stützte sich auf die Haltegriffe und betrachtete sein Gesicht in dem großen Spiegel. Angriffslustig bleckte er die Zähne. Egal, sollten sie ihn so sehen. Er war jetzt hier.
Das Gebäude hatte zehn Ober- und zwei Untergeschosse, wobei die oberste Etage nicht zugänglich war. Zumindest nicht, wenn man nicht über Eisenbergs DNA verfügte. Tom schloss daraus, dass er sich genau dorthin wenden musste.
In der neunten Etage verließ er den Fahrstuhl und lief die letzte Etage zu Fuß. Bald stand er vor einer verschlossenen Tür aus schwerem Metall, über der neben dem Codeschloss und einem DNA-Scanner gleich zwei Kameras auf ihn herabsahen. Er drückte den Rufknopf.
„Hillert, Büro Doktor Eisenberg“, meldete sich die gleiche hohe Stimme, die ihn auch gestern empfangen hatte. „Haben Sie einen Termin?“
„Polizei“, sagte Tom und hielt seinen Security-Ausweis in die Kamera, wobei er einen Teil mit dem Daumen verdeckte. „Wir benötigen eine Zeugenaussage von Dr. Eisenberg.“
„Oh“, sagte die Sekretärin. „Davon hat er mir gar nichts erzählt.“
Sie öffnete die Tür und begrüßte Tom mit einem halbherzigen Handschlag.
„Dr. Eisenberg ist im Moment leider nicht da“, sagte sie bedauernd. „Sie können aber hier auf ihn warten. Bitte nehmen Sie Platz!“ Sie wies auf einen niedrigen Sessel, der im Flur in einer Nische stand. „Möchten Sie einen Kaffee?“
„Ein Wasser wäre nett“, erwiderte Tom.
Die Sekretärin nickte und kam eine Minute später mit einem kleinem Glas Wasser zurück. „Ich kann Dr. Eisenberg gerade nicht erreichen“, entschuldigte sie sich. „Aber ich versuche es weiter. Möchten Sie etwas lesen? Bedienen sie sich!“ Sie wies auf einen Stapel abgegriffener Zeitschriften und Unternehmensprospekte, einige davon in digitalisierter Form. Dann lief sie zurück in ihr offenes Büro, setzte sich so, dass sie ihn über ihren Bildschirm hinweg im Auge behielt und wandte sich ihrer Arbeit zu.
Tom leerte das Glas in einem Zug. Das Wasser war so kalt, dass seine Zähne mit einem ziehenden Schmerz darauf antworteten. Tom nahm sich wahllos eine der Zeitschriften vom Tisch. Es handelte sich um eine Einrichtungszeitschrift, wahrscheinlich von der Sekretärin persönlich. Tom war es egal. Er hatte ohnehin nicht vor zu lesen. Er wollte die Frau lediglich in Sicherheit wiegen.
Und auf eine günstige Gelegenheit warten.
•
Langsam schlossen sich die schmiedeeisernen Torflügel hinter der blauen Limousine und der Wagen fuhr einen unbefestigten Weg entlang durch einen Park mit alten Bäumen und einem See, bis er schließlich vor einem alten Schloss anhielt. Es war ein eindrucksvoller Bau, der aus dem 17. Jahrhundert stammen mochte und privat genutzt wurde.
Der alte Mann sprang behände von seinem Sitz auf, lief um das Auto herum, ohne mit seinem Spazierstock den schlammigen Boden zu berühren und riss die Tür auf Bens Seite auf, bevor sie die Chance hatte, sich von allein zu öffnen.
„Na, hab ich zu viel versprochen?“, fragte er und verbeugte sich wie ein Diener vor Ben. „Du kannst aussteigen.“
Ben verließ den Wagen. Er versuchte, die Größe des Schlosses zu erfassen, indem er die Fenster zählte. Das war eine seiner Angewohnheiten: alles was ihn beschäftigte, in Zahlen zu fassen. Treppenstufen, Knöpfe, Bücher, alles. Es half ihm nicht, klarer zu sehen, aber es lenkte ihn ab und beruhigte. Blitzschnell wandte Ben seinen Kopf von der rechten zur linken Seite des Anwesens. 56 Fenster , notierte er in Gedanken. Plus drei Balkontüren. Dachfenster nicht eingeschlossen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass sich die Türen der Limousine schlossen und sie sich langsam entfernte. Er drehte sich nach dem Wagen um und sah ihm nach, wie er hinter den Mauern des Schlosses verschwand. Der Parkplatz befand sich wohl auf der anderen Seite des Gebäudes.
„Komm jetzt!“, unterbrach ihn der alte Mann. „Ich möchte dich den anderen vorstellen.“
Er lief den Treppenabsatz zum Eingang hoch und sah in die Kamera, die gut sichtbar über seinem Kopf befestigt war. Die Tür öffnete sich lautlos. Der Alte hielt sie fest und ließ Ben eintreten, was ihm unangenehm war. Er wollte nicht von einem
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