Götterdämmerung (German Edition)
seines Todes um dich zu kümmern.“
Ben ließ die Schultern hängen. „Woher wisst ihr – wissen Sie …?“
„Dass er tot ist?“ Der Alte winkte ab. „Wir haben es uns angewöhnt, die Sterbelisten abzugleichen, wenn der Kontakt zu einem unserer Mitglieder plötzlich abbricht.“
Er wandte den Blick ab und starrte auf die Straße. „Wann kommt der Wagen endlich?“, knurrte er.
Ben fiel es schwer, neben dem alten Mann stehen zu bleiben. Er drehte sich um und stapfte auf das Feld, das vor ihnen lag. Er wollte allein sein. Vielleicht lief er doch noch weg. Das Feld war schlammig. Der Boden sackte unter seinen Füßen ein. Moderiges Wasser lief in seine Schuhe. Ben war es egal. Die Schuhe waren auch vorher schon schmutzig gewesen und das Wasser, das unter seinen Füßen schmatzte, lenkte seine Gedanken ab. Am liebsten würde er sich einfach hier auf das Feld legen, die Augen schließen und sich seiner Trauer hingeben. Er hatte seit den Ereignissen jener Nacht kaum Gelegenheit dazu gehabt, hatte die Gedanken an seine Eltern wieder und wieder weggeschoben. Und auch jetzt musste er sie verdrängen, weil bald der andere Wagen kam und er wieder keine Zeit hatte, mit seinen Gedanken bei sich zu sein.
Er musste sich entscheiden, ob er dem Alten Glauben schenken wollte.
Ben drehte sich nach der Straße um. Der Alte stand immer noch am Straßenrand und folgte ihm mit seinem Blick. Ben entschied, dass er das Risiko eingehen wollte. Die Stadt war nicht weniger gefährlich als dem alten Mann zu vertrauen. Wenn er ihn töten wollte, hätte er längst Gelegenheit und Vorwand gefunden. Und er schien eine Menge zu wissen. Langsam kehrte Ben zur Straße zurück.
„Ah, da ist der Wagen ja“, sagte der Alte. Er zeigte auf eine dunkelblaue Limousine, die hinter dem gelben Sportcoupé anhielt und leise zischend die Türen öffnete. Wortlos stieg Ben in das Fahrzeug. Max setzte sich neben ihn auf den leeren Fahrersitz.
•
Nadja stand in der kleinen Büroküche, die sie sich mit zwei weiteren Kollegen teilte und rührte gedankenverloren in ihrer Tasse. Der Tee musste längst kalt sein, so lange stand sie schon da. Ihre Fußsohlen brannten von den hohen Absätzen ihrer Schuhe. Sie könnte sich wenigstens setzen, aber sie befürchtete, auf dem Stuhl einzuschlafen. Wahrscheinlich würden ihre Kollegen sie genau in dem Moment erwischen, in dem sie mit hängendem Kopf und ausgestreckten Armen auf dem Stuhl hing und womöglich noch schnarchte. Ausgeschlossen.
Sie litt immer noch unter Alpträumen. In der letzten Nacht war sie allerdings nur einmal aufgewacht, weil sie Durst hatte. Eine gute Nacht. Munter fühlte sie sich trotzdem nicht. Die Erschöpfung, die sich seit Monaten und Jahren in ihr angesammelt hatte, ließ sich nicht von einer einzigen durchgeschlafenen Nacht vertreiben. Nadja ließ den Löffel los und trank endlich einen Schluck Tee. Er war lauwarm und schmeckte bitter. Sie trank noch zwei Schlucke und goss den Rest in den Abfluss. Ihr fiel ein, dass sie noch ihre Schwester erreichen musste. Auf keinen Fall würde sie an dieser Geburtstagsfeier teilnehmen. Nun, eine kurze elektronische Nachricht würde genügen.
Nadja stellte ihre Tasse auf die Spülmaschine. Ihr Magen knurrte. Im Kühlschrank fand sie einen Keksriegel, der nicht ihr gehörte und ein Sechserpack Fruchtjoghurt, das auch nicht ihr gehörte. Sie nahm sich einen der Joghurts. Lynn hatte sicher nichts dagegen. Sie würde morgen einfach einen neuen mitbringen. Gerade als sie den Deckel vom Becher gelöst hatte, meldete sich ihr Kommunikationssystem. Eisenberg wollte sie sehen.
Seine Bürotür stand schon offen, als Nadja auf dem kleinen Flur ankam. Eisenberg saß mit vor dem Kinn verschränkten Händen in seinem Sessel und kaute nervös auf seiner Lippe. Überall auf seinem Schreibtisch lagen die zerfetzten Reste einer Schokoladenverpackung. Als Eisenberg Nadja bemerkte, straffte er die Schultern und schob die Papierfetzen zu einem Häuflein zusammen.
„Hier lies das!“, sagte er, sobald sie die Tür geschlossen hatte und reichte ihr ein Stück Papier. Es war ein Computerausdruck.
Nadja las die wenigen Zeilen und wurde blass. Eisenberg schob ihr einen Stuhl hin.
„Mein Gott, du musst das sofort vernichten! Wenn das jemand liest, dann …“ Sie führte den Gedanken nicht zu Ende. Eisenberg winkte ab und verzog den Mund. „Das spielt sowieso keine Rolle mehr. Und weiß du was? Er hat mir die neuen Codes
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