Götterdämmerung (German Edition)
Sebastian“, meinte Monica „aber das will er nicht hören.“
Sebastian schüttelte heftig den Kopf. Monica drehte sich zur anderen Seite. „Dann wären da noch Hans, Elisabeth und Julius. Sie sind nur zu Besuch. Diese nette Dame dagegen haben wir hier dauerhaft aufgenommen.“ Ein Mädchen mit kinnlangen Haaren hob zaghaft die Hand. Sie schien nicht viel älter als Ben zu sein. „Ich bin Zara. Hallo.“
„Wäre bloß noch Louis zu nennen.“
„Aber der spricht nicht“, fügte das Mädchen hinzu.
„Du wirst ihn sicher bald kennenlernen. Er schleicht meist irgendwo durchs Haus und lauscht. Er ist lieber allein.“
Ben nickte. Die Gruppe schwieg. Ben wollte noch mehr wissen: Wem das Schloss gehörte, vor wem sie ihn schützten, was seine Eltern ihnen über ihn erzählt hatten und ob sie ihm – möglicherweise – erklären konnten, warum er unter fremden Erinnerungen litt. Und nicht zuletzt, wieso er verfolgt wurde. Doch es kam ihm unpassend vor, in diese bedrückende Stille hinein zu sprechen, die plötzlich entstanden war. Oder die die ganze Zeit da gewesen war und die seine Ankunft nur kurz hatte unterbrechen können.
„Wie viele haben wir verloren?“, fragte Sebastian in die Runde. Er stützte den Kopf auf seine Hände, als ob er sich vor der Antwort wappnen könnte.
„Heute nur einen, soweit ich weiß“, sagte Monica. „Aber es gibt etwas Anderes, über das wir uns unterhalten müssen.“
„Du meinst das Virus?“, murmelte Julius. „Davon haben wir gehört. Die jüngsten Nachrichten haben ausführlich darüber berichtet. Die Krankenhäuser sind voll.“
„Was für ein Virus?“, fragte Ben. „Ist es gefährlich?“
Monica seufzte. „Könnte man so sagen. Aber wir wissen noch nicht viel. Nur dass es ein neuartiges Virus ist, das die roten Blutkörperchen zerstört. Die Inkubationszeit beträgt etwa zwei Tage. Bricht die Krankheit aus, ist die Sauerstoffversorgung des Körpers innerhalb weniger Stunden lahmgelegt. Wir vermuten, dass es vom Militär entwickelt wurde und durch Schlamperei entweichen konnte, aber die streiten natürlich alles ab.“
„Die Krankheit ist hochansteckend“, warf Sebastian ein. „Und die Mortalitätsrate beträgt 80 Prozent. Vielleicht ist sie sogar noch höher.“
„Gibt es denn kein Gegenmittel?“, wollte Zara wissen.
„Nein. Jedenfalls noch nicht.“
„Ich muss in mein Institut zurück“, sagte Julius. „Ich kann hier nicht rumsitzen. Vielleicht finden wir bald etwas, das den Krankheitsverlauf zumindest verlangsamt.“
„Wenn du rausgehst, steckst du dich früher oder später an“, erwiderte Monica.
Julius stand auf. „Wir stecken uns alle an“, sagte er. „Wahrscheinlich sind wir längst infiziert. Das Virus ist überall. Das Schloss wird dich nicht schützen.“
„Ich hoffe, dass du ausnahmsweise mal Unrecht hast“, seufzte Monica. „Vielleicht haben wir Glück. Die Inkubationszeit ist so kurz, dass sich das Virus bald selbst vernichtet. Kommst du nächste Woche vorbei?“
Julius kratzte sich am Kinn. „Ich versuche es. Also bis dann.“ Er verließ den Raum.
„Jetzt haben wir also noch einen Feind mehr“, stellte Monica resigniert fest. „Als ob wir das bräuchten.“
„Hör auf!“, widersprach der Alte. „Uns wird schon was einfallen.“
„Was wird jetzt mit mir?“, fragte Ben leise. Er dachte an Sophie. Wie kraftlos sie in der Küche gesessen hatte, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Wenn sie sich mit diesem neuartigen Virus infiziert hatte, dann … Dann trug er es wahrscheinlich ebenfalls in sich. Plötzlich spürte er ein flaues Gefühl im Magen. Was, wenn er all diese Menschen ansteckte?
„Ich bin vielleicht infiziert“, brachte er heraus. Seine Stimme klang rau. Aber Monica winkte ab. „Jeder von uns kann infiziert sein“, erwiderte sie. „Mach dir keine Gedanken. Geh in dein Zimmer und ruh dich aus! Morgen sehen wir weiter.“
Ben nickte unschlüssig. Niemand der Anwesenden wirkte beunruhigt. Vielleicht machte er sich wirklich zu viele Gedanken. Möglicherweise war das Virus doch nicht so hochansteckend, dass er sich sorgen musste.
„Hast du Hunger?“, fragte Zara. „Es gibt nämlich gleich Mittagessen.“
„Im Moment nicht“, sagte Ben.
„Zara, zeig ihm sein Zimmer!“, sagte Monica. „Das dritte im hinteren Gang. Fürs Erste bleibst du bei uns“, fügte sie an Ben gewandt zu. „Hier bist du sicher.“
Der Junge nickte. Von den Menschen hier im Raum schien tatsächlich keine unmittelbare
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