Götterdämmerung (German Edition)
blieb es die ganze Zeit über hell. Niemand löschte das Licht.
Niemand stürzte sich aus der Dunkelheit auf ihn.
Dennoch wuchs das ungute Gefühl in Eisenberg weiter, je näher sie der Halle kamen. Diese Furcht war ihm bisher fremd. Es handelte sich schließlich bloß um einen ganz normalen Gang zu einer ganz normalen Fabrikhalle. Der Gedanke daran, dass dieser Gang bis vor wenigen Stunden gesperrt gewesen war, verhinderte allerdings, dass Eisenberg sich beruhigte.
Als sie sich der Fabrik auf weniger als einhundert Meter genähert hatten, fielen ihnen die Gestalten auf, die in regelmäßigen Abständen an den Seiten des Ganges standen – wie Wachleute, die ein Gelände sichern. Es waren Roboter der S-Baureihe, ihrer eigenen Produktion, aber sie verhielten sich untypisch. Eisenberg spürte eine unterschwellige Feindseligkeit in ihren Blicken. Eine undefinierbare Abneigung in ihren Gesichtszügen.
Hör auf, sie mit menschlichen Maßstäben zu beurteilen , schalt er sich. Es ist ihre Aufgabe, die Gegend zu überwachen. Wir selbst haben sie so programmiert.
Allerdings nicht für diesen Gang.
Die Roboter hatten ihnen die Köpfe zugedreht. Eisenberg wünschte sich, er könnte in ihren starren Gesichtern lesen. Was genau habt ihr vor , sprach er in Gedanken. Er war irritiert, dass die Maschinen im Gang Stellung bezogen hatten. Aber genau das schien es zu sein: eine Stellung, die gesichert wurde. Die Roboter selbst entschieden, wen sie vorbei lassen wollten und wen nicht. Wie es aussah, durften Nadja und er passieren.
Die Programmierung sieht solch eine eigenmächtige Entscheidung nicht vor , dachte Eisenberg. Er wagte nicht, es laut auszusprechen, warf Nadja lediglich einen beunruhigten Blick zu. Es handelte sich schließlich um seine Produkte: Wachroboter, von menschlichen Kunden gewünscht und in der Fabrik nach diesen Wünschen gefertigt. Sie sollten dem Willen der Kunden gehorchen, nicht ihrem eigenen.
„Was hat er mit ihnen gemacht?“, flüsterte Nadja.
Eisenberg antwortete nicht. Nadja sah nach vorn. Dort befand sich die Fabrikhalle. Sie wurden erwartet.
•
Tom bekam seine Gelegenheit schneller, als er befürchtet hatte. Nach wenigen Minuten begann die Sekretärin über ihre Kommunikationsanlage ein langes Gespräch über einen Termin, der verschoben werden musste. Anscheinend war der Anrufer äußerst hartnäckig, denn die Frau verzog während des Gespräches mehrmals verzweifelt das Gesicht und stürzte anschließend aus dem Vorzimmer, um irgendetwas zu suchen. Mit einem schnellen Blick entschied sie, dass sie Tom wohl ein paar Minuten hier sitzen lassen konnte und der Anrufer Priorität hatte.
„Bin sofort wieder da“, entschuldigte sie sich und verschwand in einem Raum, der von Toms Sitzplatz aus nicht einsehbar war.
Tom zögerte keine Sekunde. Eisenbergs Büro fand er sofort. Er wunderte sich, dass die Tür nicht abgeschlossen war.
Der Mut des Gerechten wird belohnt , dachte er bewusst pathetisch und gratulierte sich zu der Entscheidung, entgegen der Anweisungen des Bosses zu FUOP-TECH gefahren zu sein. Es war merkwürdig, aber stets das Gleiche: In jedem Film konnte man sehen, in jedem Buch lesen, dass die da oben keine Ahnung hatten und die einzigen fähigen Leute, die den Fall – oder das Problem – lösen konnten, vom Dienst suspendierten. Früher oder später. Es lief immer auf das Gleiche raus: Der Held ergriff die Initiative, verstieß gegen ungefähr hunderttausend Gesetze und löste den Fall schließlich. Meist im Alleingang. Und jedes Mal endete die Geschichte damit, dass der Held entweder einen angemessenen Heldentod starb oder dass ihm ein Orden verliehen wurde, Aufstieg auf der Karriereleiter und der bewundernde Blick schöner Frauen inklusive. Also los. Tom maßte sich zwar nicht an, sich mit einer Romanfigur zu vergleichen, aber trotzdem: Sollten die da oben ihn doch mal kreuzweise …
Er schlüpfte in den Raum, schloss vorsichtig die Tür und sah sich um. Entgegen seiner Vermutungen handelte es sich bei Eisenbergs Büro um einen kleinen, schlicht ausgestatteten Raum. Der Schreibtisch in der Ecke hatte abgeplatzte Ecken, der Sessel seine ehemals weiße Farbe verloren und die Kugelschreiber waren wohl billig im Dutzend erstanden. Die Technik dagegen wirkte hochmodern. Neben Computern, Touch-Screen-Monitoren und dem üblichen Kram, den man in einem Büro zum Arbeiten brauchte, gab es einen riesigen in die Wand integrierten Bildschirm, der verschiedene Aufnahmen der
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