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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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peinlich. Er war nackt, lag auf der Seite neben dem Becken, als hätte er entschieden, den perfekten Ort für ein Nickerchen gefunden zu haben. Sein Kopf war in einem abenteuerlichen Winkel fast nach hinten gedreht. Man hatte ihm das Genick gebrochen. Die oberen Halswirbel — C1, C2 und vielleicht auch C3 —, die besonders verletzungsanfällig sind, waren wie trockene Flügel geknackt worden.
    Seine Füße waren schmutzig, die Nägel lang und schartig. Es war ein befremdlicher Anblick, es sprang ins Auge wie eine Kakerlake in einer Suppentasse: Scales, der durch und durch Lässige, der tadellos und teuer Gekleidete, hatte ein Bad und eine Pediküre bitter nötig.
    Der Tod stiehlt einem Menschen die Würde, ersetzt sie jedoch durch etwas von längerer Dauer: Gleichgültigkeit. Scales graue Augen mit dem nunmehr verschleierten Blick sahen mich an, als wäre ich Teil der Kabinenwand. Sein Darm hatte sich auf den Betonboden entleert. Auch dem gegenüber war Scales gleichgültig.
    Auf dem Parkplatz sah ich mich nach dem Porsche um, konnte ihn aber nirgends ausmachen. Hector hatte nicht nur Scales Kleidung mitgehen lassen, sondern auch seinen Wagen. Ich ging zurück zum Monte.
    »Es gibt neue Komplikationen, Carla.« Ich berichtete ihr von meiner Entdeckung. »Spricht einiges dafür, dass Hector Scales umgebracht und sich seinen Porsche geschnappt hat.«
    Sie war sofort in Alarmzustand. »Was? Wie hätte er das anstellen sollen? Er war in Handschellen!«
    »Vielleicht hat Scales sie ihm abgenommen, damit er zur Toilette gehen kann. Klingt unwahrscheinlich, ist aber nicht auszuschließen.«
    Ich glaubte selbst nicht daran. Hector hatte nicht den Eindruck vermittelt, dass er jemanden mit bloßen Händen umbringen könne. Wer auch immer Scales getötet hatte, kannte sich aus mit Halswirbeln. Doch was wusste ich schon über Hector? Er hätte ebenso gut ein Kung-Fu-Meister mit schwarzem Gürtel sein können. Ich fragte Carla danach.
    »Keine Ahnung«, sagte sie. »Über solche Dinge haben wir nie gesprochen, aber möglich ist alles.«
    Die Nachricht von Hectors Flucht hob ihre Stimmung beträchtlich. »Er ist bestimmt nach Mexiko gefahren. Er hat Familie dort, in Chihuahua City. Er wurde in Brownsville geboren, aber seine Eltern stammen aus Monterrey. Er hat die doppelte Staatsbürgerschaft. In Mexiko ist er sicher.«
    Ich wusste, warum er sicher und sie glücklich war: Im Falle von Kapitalverbrechen liefert Mexiko seine Bürger nicht an die USA aus. Anders als bei uns gibt es in Mexiko keine Todesstrafe.
    »Am Ende wird sich alles für uns zum Guten wenden«, sagte sie. »Hat er sich erst einmal dort eingerichtet, wird er Kontakt mit mir aufnehmen. Dann kann ich das Geld rüberschaffen.«
    »Klasse.« Es war völlig uninteressant, was ich sagte. Egal, was man jetzt äußerte, nichts konnte Carla aus dem Gleichgewicht bringen.
    An der Abfahrt zum Executive Center verließ ich die Interstate und fuhr direkt zu Luthers und Carlas Haus. »Gott sei Dank«, sagte Luther, als er Carla sah. »Endlich bist du wieder bei mir, mein Liebling! Die Sorge um dich hat mich fast um den Verstand gebracht!« Er ergriff meine Hand und schüttelte sie heftig. »Ich schulde dir was, J.P. Ich schulde dir eine Menge.«
    »Das glaube ich kaum, Luther«, sagte ich.
    Er beachtete mich nicht weiter, nahm Carla in die Arme und versuchte, sie mit Küssen zu ersticken, aber sie riss sich wütend los.
    »Ich bin nur hier, um ein paar Sachen zu holen«, sagte sie. »Ich verlasse dich, Luther.«
    »Also ist es wahr, du fickst diesen verfluchten Wetback.«
    Carla schlug zu. Luther riss die Hand hoch, um zurückzuschlagen, hielt aber inne. »Zier dich nicht, schlag mich«, sagte Carla. »Das macht es einfacher für uns.«
    Ich hatte genug und ging zu meinem Wagen, um das dritte Feuer zu löschen, das sich doch noch entwickelt hatte. Das Zischen des Feuerlöschers übertönte alle anderen Geräusche.
    Carla war im Haus verschwunden und Luther stand unbeweglich auf der Veranda. Seine riesige Silhouette, die sich vor der Innenbeleuchtung des Hauses abzeichnete, sah aus wie eine Pappfigur seiner selbst.
    Ich legte den Feuerlöscher in den Kofferraum und ging zurück zum Haus. Luthers Gesicht war verzerrt, als hätte ihn der Schlag getroffen. »Ich habe sie zurückgebracht, Luther«, sagte ich. »Es tut mir leid, wenn es nicht das ist, was du erwartet hast.«
    »Sie kann mich am Arsch lecken!«, brüllte er in die Nacht. »Ich habe ihr alles gegeben! Ich habe ihr

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