Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
mexikanisches Sexspielzeug. Und du hast — wie heißt es gleich noch mal? — ach ja, du hast verloren. Wenn du für meinen Laden ermitteln willst, das Angebot steht noch. Ich habe den Eindruck, du wirst nehmen müssen, was du kriegen kannst.«
Im Hintergrund hörte ich das sanfte Brummen eines kaum geforderten Porsche-Motors. Hamilton Scales, mit vielleicht hundertzehn Stundenkilometern auf der Interstate 25 unterwegs, hatte mich über sein Mobiltelefon angerufen. Vermutlich die letzte Nachricht, die er jemandem hinterlassen hatte. Ein Bild tauchte als ungebetener Gast in meinem Kopf auf — der lange, dünne Körper, so bleich, dass er im fluoreszierenden Licht der Toilette beinahe bläulich aussah, die schmutzigen Füße und ungepflegten Zehennägel, der Kopf mit den Dreadlocks, um nahezu hundertachtzig Grad verdreht. Der leere Blick, den ich schon einmal gesehen hatte und der mich in meinen Träumen verfolgte.
Nächste Nachricht.
»Hier ist deine Mutter«, sagte Velma. »Ich denke, du erinnerst dich an mich. Vielleicht auch nicht. Eine aufdringliche Person will mich hier wegbringen. Sie behauptet, ich sei eine Gefangene in meinem eigenen Hause. Verstehst du das? Haben die Leute den Verstand verloren? Habe ich irgendetwas verpasst?«
Ich fuhr zum Upper Valley.
Velma saß in der Küche und trank Muskateller.
Als sie mich sah, fing sie augenblicklich an zu reden.
»Sie wollen mein Haus versteigern. Sie sagen, ich sei gestürzt und eine Frau, die stürzt, sei eine Gefahr für sich selbst. Ich bin nicht gestürzt. Sie sind dazugekommen, als ich auf dem Rücken gelegen und das Bild an der Wohnzimmerdecke betrachtet habe. Mir ist es nie zuvor aufgefallen. Ihre Spione haben von der Verandatür ins Haus gespäht und mich auf dem Boden im Wohnzimmer entdeckt. Sie bestehen darauf, dass ich hingefallen sein muss. Bin ich aber nicht. Geh ins Wohnzimmer und sieh selbst. Vielleicht kannst du dafür sorgen, dass sie mich nicht weiter belästigen. Ich bin eine alte Dame. Es geht nicht an, dass derart rüde Menschen mich bedrängen. Es war mir nicht bewusst, dass wir in einem Polizeistaat leben. Wenn ich tatsächlich gestürzt sein sollte, weshalb lag dann dieses Kissen unter meinem Kopf?« Sie hob ihr Glas mit beiden Händen und setzte es an die Lippen.
»Darauf habe ich keinen Einfluss, Mom. Entweder gehst du freiwillig ins El Descanso oder man wird dich zwingen. Ich kann sie nicht daran hindern.«
Velmas Gesichtsausdruck veränderte sich. Ihr Blick ging durch mich hindurch.
»Und Sie sind … ?«, fragte sie.
»Wie bitte?«
»Wer sind Sie, Sir?«
»Ich bin J.P., dein Sohn.«
»J.P.? Wofür stehen diese Initialen? John Peter? Josiah Paul? Judas Pipkin? Hätten Sie womöglich die Freundlichkeit, sich vorzustellen, bevor ich meinen Mann rufe?«
Ich hatte mein Leben lang nach einer Vorstellung von mir gesucht und wünschte, man hätte mich John, Josiah oder Paul genannt, von mir aus auch Judas. Ein richtiger Name könnte zumindest ein Anfang sein.
»Um Himmels willen, Mom, du weißt doch, dass meine Initialen für gar nichts stehen.«
»Das ist absurd.«
»Wenn du es sagst.«
Ihre Miene war wie versteinert und jetzt flossen auch noch Tränen. »Ich bin nicht gestürzt. Das ist eine Unterstellung von ihnen. Aber sie haben unrecht. Ich habe es ihnen erklärt. Unter meinem Kopf lag ein Kissen. Ich habe dort gelegen, um sie zu betrachten.«
Ich ging ins Wohnzimmer und sah hoch zur Decke. An dem alten Haus musste einiges repariert werden. Die Regengüsse hatten vor dem Dach nicht haltgemacht. Feuchtigkeit war in den Dachboden eingedrungen und an der Decke zeigten sich Wasserflecken. Wenn man sich darauf einließ und wenn man es unbedingt glauben wollte, konnte man vielleicht die Mutter Gottes sehen, wie sie mit grenzenloser Güte auf einen herunterblickte.
Man könnte sich auf eine Menge Dinge einlassen, an die man unbedingt glauben wollte. Und genau das tun wir. Das ist unsere größte Schwäche. Das macht die Welt zu einem veritablen Irrenhaus. Ich erinnerte mich daran, wie Luther in Abwandlung einer Gedichtzeile von T.S. Eliot einmal gesagt hatte: »Unsere ganze Erde ist ein Hospital. Die eine Hälfte der Menschen sind Patienten, die andere Hälfte Krankenschwestern.« Ich sah mich zu beiden Kategorien zugehörig: an manchen Tagen oben, an anderen unten. Für diese Balance in puncto Stimmungsschwankungen war mein lithiumhaltiges Bolson-Wasser zuständig.
»Ich werde Pilar erzählen, dass ich die Jungfrau
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