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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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Anomalie der Gene. Entsprechende Provokationen vorausgesetzt, könnte jeder Hitler sein. Jeder — du, ich, Micky Maus. Hör dir das an.«
    Luther griff sich voller Pathos an die Brust. »›Ich habe ein schwaches Herz, mein Führer!‹, sagte Wagner. Du musst wissen, Wagner war Hypochonder, genau wie Hitler. Er war davon überzeugt, herzkrank zu sein. Die beiden sind wie Zimmergenossen, die einander bemitleiden.«
    »Zimmergenossen?«
    »Ich trage mich mit dem Gedanken, auch Sanskrit zu verwenden. Hitler war Mystiker. Die Sanskrit-Silben ›su‹ und ›asti‹ weisen nicht nur auf die vollkommene Hingabe an den natürlichen Impuls hin, sie bilden auch den frühgeschichtlichen Begriff ›su-asti-ka‹ oder Swastika. Es ist ein Gegenentwurf der Seele zur Zivilisation. So gibt es auch einen ›su‹- und ›asti‹-Aspekt in der Musik Wagners.«
    »Starb Wagner nicht, bevor Hitler geboren wurde?«
    »Ich erwarte nicht, dass du es verstehst.«
    »Was verstehst?«
    Luthers Gesicht lief knallrot an. Sein lockiges Haar war schweißnass. Er zündete sich einen Joint an und nahm einen tiefen Zug.
    »Ich werde dir nicht das Konzept der subjektiven Unterschiede erklären«, keuchte er, »oder die kohäsive Verflechtung disparater Zeitfraktale.«
    »Pech für mich«, sagte ich.
    »Allerdings, und zwar mehr, als du ahnst«, erwiderte Luther.
    »Ich glaube nicht, dass Wagner Hitler ›mein Führer‹ genannt hätte.«
    »Die ›su‹- und ›asti‹-Elemente in der Psychologie beider Männer gestatten einen anderen Schluss.«
    »Ich kann dir nicht folgen«, sagte ich.
    »Ich weiß«, sagte Luther.
    Ich verzog mich in die Küche und nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Lelanie saß am Tisch, vor sich einen Teller mit Aufschnitt und gefüllten, hartgekochten Eiern. Als ich vorbeiging, würdigte sie mich keines Blickes. In ihren Augen hatte ich aufgehört zu existieren. Ich war mir sicher, eine Möglichkeit zu finden, um damit leben zu können.
    Ich ging hinauf ins Gästezimmer und nahm das Gemälde der nackten Damen beim Nachmittagstee von der Wand. An der braunen Rückseite des Bildes hing ein mit Klebestreifen befestigter Umschlag. Ich nahm ihn ab. Er war unverschlossen. Ein Packen Fotos und ein beschriebenes Blatt Papier fielen heraus, Carlas Aufzeichnungen. »Dr. Stefan Selbiades«, war dort zu lesen, »der seine Millionen lukrativen Immobiliengeschäften verdankt, steht in enger Verbindung mit ausländerfeindlichen, extremistischen Organisationen in Europa. Siehe Fotos.«
    Ich sah die Fotos durch. Schnappschüsse, einige von professioneller Qualität, andere machten den Eindruck, als hätten Amateure sie mit einer Einwegkamera geschossen. Eines der qualitativ höherwertigen Fotos zeigte zwei Männer, die einander per Handschlag begrüßten — weißhaarig und elegant der eine, der andere im dunklen Zweireiher und mit einem Fedora, als wäre er direkt dem Jahr 1933 entsprungen. Auf der Rückseite des Fotos stand eine Notiz: »Dr. Stefan Selbiades (re.) trifft auf Fritz Stoudemire, einen Unterstützer des inzwischen verstorbenen österreichischen Ultranationalisten Jörg Haider.« Andere Fotos zeigten Selbiades (den Weißhaarigen) im Gespräch mit Mitgliedern des britischen »Combat 18«, der belgischen »Vlaamse Militanten Orde« und des französischen »Front National«, laut Carlas Aufzeichnungen samt und sonders rechtsradikale, nationalistische Vereinigungen, deren Programm es sei, gewaltsam gegen Ausländer vorzugehen.
    »Trage noch immer Informationen zusammen«, hatte sie notiert. »Sollte ich jedoch aus irgendeinem Grund meine Recherchen einstellen müssen, leitet dieses Material bitte an Lyle Strimpley und DeWalt Frederickson vom Außenbüro des FBI weiter. Selbiades hat seine Hans-Brinker-Brigade am Modell der brutalen ultra-nationalistischen Organisationen in Europa ausgerichtet. Langfristig verfolgt Selbiades das Ziel, die US-Regierung in einen militärischen Konflikt zu verwickeln. Nichts gefiele ihm mehr, als eine halbe Million US-Truppen, die die Grenze von San Ysidro bis Brownsville bewachen. Sollte es so weit kommen, genügt ein Funke, ein kleiner Zwischenfall, um einen großen Krieg auszulösen. Selbstredend ist es Selbiades’ Absicht, so viele Zwischenfälle wie möglich zu provozieren. Folgt der Spur des Geldes. Ich bin überzeugt, dass er einigen, wenn nicht sogar allen europäischen Organisationen beträchtliche Summen zufließen lässt. Eine internationale Verschwörung dieser Größenordnung sollte

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