Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
immer irgendetwas passiert sein? Ist nicht schon genug passiert? Vielleicht ist auch irgendetwas nicht passiert. Es gibt eine ganze Fülle von Möglichkeiten, J.P. Schon mal drüber nachgedacht?«
»Ich habe etwas in meinem Zimmer vergessen.«
»Also gut. Komm her. Aber rechne nicht damit, dass du bleiben kannst.«
Ich fuhr zuerst zur Universität, um den Schlüssel für das Schließfach aus Carlas Büro zu holen. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Eine Putzkraft war gerade dabei, den Teppich zu saugen. Ich wartete, bis der Mann fertig war, und ging hinein. Das gefiel ihm nicht. Er sah mich mit einem Stirnrunzeln an. Seine Aufgabe war es, das Büro sauber zu machen und die Tür abzuschließen, wenn er ging. Er war nicht berechtigt, jemanden hineinzulassen.
» Está bien «, sagte ich. » Soy el esposo de la profesora Penrose .«
Keine Ahnung, ob er mir das abkaufte oder nicht. Sein Gesichtsausdruck sagte: Sie sehen nicht aus wie der Ehemann einer Dozentin. Doch dann hellte sich seine Miene auf, als fragte er sich, wie so einer wohl aussehen solle. Es war vermutlich mein zerschlagenes Gesicht, das sein Misstrauen erregt hatte.
» Mi cara fea? « — mein hässliches Gesicht? » Un poquito accidente. « Ich stieß meine Fäuste gegeneinander, um einen Zusammenstoß anzudeuten. Er nickte lebhaft und ich lachte — ein kleiner Unfall mit Blechschaden kann uns hombres doch nichts anhaben. Ihm war klar, dass es sich nicht um einen poquito accidente mit Blechschaden gehandelt hatte, aber ihm gefiel mein Machogebaren. Denn so viel stand mal fest: Das Gesicht zerbeult zu bekommen war für einen Mann eine Kleinigkeit. No importa . Die Sache war geritzt: Ich hatte meine Zugangsberechtigung unter Beweis gestellt, von Mann zu Mann, sozusagen, und durfte im Büro bleiben. Ich schloss die Tür und holte den Schlüssel für das Schließfach unter der Stehlampe hervor.
Lelanie öffnete mir die Tür. »Er fühlt sich unwohl«, sagte sie. Sie trug einen kurzen roten Kimono und sonst nichts. Offenbar hatte sie ihn gerade erst übergestreift, denn sie war noch mit dem Bindegürtel beschäftigt. Außerdem war sie barfuß und präsentierte die glänzend schwarz lackierten Zehennägeln ihrer kleinen Füße.
»Ist er krank?«
»Nein. Er fühlt sich unwohl. Das ist nicht das Gleiche.«
»Habe ich schon mal gehört.«
»Das arme Baby sieht so verloren aus. Ich bemühe mich, nicht zu weinen, aber wenn ich zu ihm in den Wintergarten gehe, bricht sein Anblick mir das Herz.«
»Was macht er im Wintergarten? Es müssen draußen um die fünfunddreißig Grad sein.«
»Er meditiert.«
»Luther meditiert nicht. Er medikamentiert sich.«
»Das ist nicht komisch. Das ist sogar ziemlich taktlos, um ehrlich zu sein. Und Sie behaupten, Sie wären sein Freund.«
Ich ging in die Küche und von da aus in den verglasten Wintergarten. Luther lag nackt in einem Liegestuhl. Entlang der Glaswände trieben tropische Pflanzen in Kübeln aus Terrakotta große, beinahe obszön anmutende Blüten. Ihnen entströmte ein die Sinne betörender Duft, der sich seinen Weg direkt ins Hirn bahnte. Feuchtigkeit hing wie ein Schleier in der verpesteten Luft und wurde von ihr aufgesogen wie ein Schwamm. Von Luthers Oberkörper perlte der Schweiß.
»Gründest du auch noch eine Nudistenkolonie?«, fragte ich zur Begrüßung.
Einen Notizblock auf dem Schoß und einen Filzstift in der Hand, bedachte er mich über den Rand seiner Lesebrille hinweg mit einem finsteren Blick. Der Notizblock war vollgekritzelt. Es sah aus, als hätte Luther hundert Ameisen in schwarze Tinte getaucht und sie anschließend über das gelbe Papier krabbeln lassen.
»Das ist unleserlich«, stellte ich fest.
»Ja, für dich. Ich habe das Kapitel ›Richard trinkt Tee mit Hitler‹ in Deutsch abgefasst. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Roman der Zukunft polyglott sein muss. Ob es einem gefällt oder nicht, wir steuern auf eine vereinte Welt zu. Ein entsetzlicher Gedanke, aber unabwendbar. Der isolierte, sich selbst genügende Nationalstaat ist Vergangenheit. Die Neue Weltordnung ist da. Die USA sind Geschichte. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen es realisieren.«
»Tee mit Hitler? Wird das nicht eine Menge Leute vor den Kopf stoßen?«
»Wir sind in der Zeit weit genug vorangeschritten, um diesen Mann als eine gewöhnliche, wenn auch in gewisser Hinsicht gestörte Persönlichkeit betrachten zu können.«
»In gewisser Hinsicht gestört?«
»Despotismus ist keine
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