Goetterdaemmerung - Roman
Idee hatte, ein kleines zehnjähriges Mädchen, dessen Vater in der Küche Seiner Hoheit beschäftigt war, zu ihr zu bringen. Man breitete vor Frida eine Fülle an Spielsachen aus, damit sie etwas daraus auswählen könne, doch betrachtete sie, wie vor den Kopf gestoßen und bestürzt von diesem Haufen großartiger Dinge, nur alles mit aufgerissenen Augen, dann fing sie plötzlich an zu weinen. Es dauerte mehrere Tage, bis sie etwas zutraulicher wurde, die Arme ein bisschen von den Nähten ihrer Röcke löste und bis man ihr die zitternden Hofknickse ausgeredet hatte, mit denen das Kind auf die geringsten Worte, Blicke und sogar auf die Märchengeschichten reagierte, die ihr Claribel mit größtem Vergnügen weismachte, als sie merkte, wie schlicht das Mädchen war. «Psst!» So sollte man etwa ganz leise antworten und sich die Worte ins Ohr flüstern, sobald dicke Stubenfliegen im Zimmer waren: «Sie hören, was man spricht und sagen es weiter …»
Und dergleichen Hunderte Fantastereien über Hunde, Wolken, Vögel, Bäume. Frida hörte ihr mit weit geöffnetem Mund zu, und so war dieses arme, naive Mädchen, dieses Kind, das wehrlos zu ihr emporschaute, die letzte Puppe, mit der sich die kleine Gräfin ein wenig amüsierte. Claribel küsste sie, machte sie fein, stopfte sie mit Bonbons voll oder bestrafte sie, zog sie an, entkleidete sie, staffierte sie mit altmodischem Firlefanz aus, mit Frisuren, auf denen noch eine Feder thronte und mit immensen Rundschilden gleichenden Krinolinen; oder aber sie behielt ihr Abendessen, obwohl sie sonst niemals Appetit hatte, bei sich auf dem Zimmer, um ihre Gespielin damit vollzustopfen. Bleich, durchscheinend und so mager, dass sie durch einen Ring zu passen schien, und so war es mitleiderregend, ihr gegenüber Frida zu sehen, die rot- und pausbäckig tüchtig zulangte bei Rebhuhn, Fasanenküken, mit Tokajer getränktem Störkopf, während Claribel, die das Bett nicht mehr verlassen konnte, Mühe hatte, ein halbes Mandarinenviertel auszulutschen.
Sie lag im Sterben, zu nervös, zu feinsinnig, verzehrt von Sehnsucht und Klarsicht und bereits müde vom Leben. Überhäuft mit allem, was das Schicksal an Gunst und Süße bieten konnte, hatte sie doch, so jung sie auch war, dessen Schattenseiten erlebt und die Leere und die Flüchtigkeit der Dinge verstanden. Ihr Vater! Irgendeine niedliche Kleinigkeit würde ausreichen, um ihn zu trösten, eine Halsbinde, ein neues Ragout, was auch immer! Die Kiste mit Limetten, die er in den nächsten Tagen aus Palermo erwartete und die, wie er gern erzählte, von einem Baum stammten, den er eigenhändig, gepflanzt hatte. Franz, nach so viel anfänglicher Beflissenheit, kam mittlerweile kaum noch; und was Emilia anlangte, so fühlte das Kind nur zu gut, dass die Zuneigung der Italienerin nur oberflächlich war, ihre Liebkosungen gleichgültig, ihre Gedanken anderswo waren. O nein! Niemand liebte sie … Ach! Hätte sie doch nur einen Bruder, wie Christiane einen in Hans Ulrich hatte! Einen Bruder! Und in all ihrer Unschuld fragte sich Claribel oft, ob man sich wohl mehr lieben könne als die beiden einander. Wie Hans zitterte und blass wurde, wenn Tina ihm voller Schalkhaftigkeit die Arme um den Hals schlang, und wie liebevoll sie sich anlächelten! Doch warum nur starrte die Belcredi ihn so eigenartig an? Was fand sie nur dabei, die beiden mit Blicken zu durchbohren? … Mit ihrem bescheidenen Auftreten, ihrem echten Talent, mit den Rücken der Notenbände, die man in ihrem Zimmer sah, und vor allem dank eines Chorals von Händel, für den drei Stimmen nötig waren, war es ihr gelungen, sich bei Christiane einzuführen; und auf diese recht häufigen Besuche, diese beginnende Vertrautheit war die kleine Gräfin eifersüchtig. Liebten ihre Schwester und ihr Bruder sie nicht mehr, dass sie so eng mit der verkehrten, die sie selbst verabscheute? O nein! Niemand liebte sie. Was sollte sie da noch auf der Welt? Sie konnte ohne Bedauern sterben!
Doch wollte sie noch leben, wenigstens für ein letztes Weihnachten, das kurz bevorstand und das sie freudig wie ehedem erwartete. Und es schien, als bezwinge ihr hochmütiger, beherrschender Geist den Tod, denn obwohl sie erschöpft war – von den Fiebernächten, der ewigen Schläfrigkeit, dem plötzlichen und oft verwirrten Erwachen –, schaffte sie es doch bis zum ersehnten Tag. Die Dunkelheit war früh hereingebrochen an dem nebligen Dezembernachmittag, und der Herzog ließ ohne bis zum Abend zu warten
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