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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: El mir Bourges
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und goldenen Hüten auf den Champs-Élysées zu betrachten. Die bizarre Prozession eskortierte nämlich eine enorme himmelblaue Sänfte, die mit zwei Vorhängeschlössern verriegelt Speisen und Gedeck für Seine Hoheit enthielt, denn der Herzog wurde weiterhin aus seiner Küche versorgt. Arcangeli richtete an; der erste maître d’hôtel 66 , früher Mundschenk Seiner Hoheit Nikolaus, reichte ihm die Serviette und zerteilte die Bissen, wobei sich der Herzog während der ganzen Aufwartung damit vergnügte, ihn ob seiner allzu fettigen Graupen zu tadeln: «Schau mal, Michel», sagte er zu ihm, «ich würde dir jedes Jahr fünfzig Frédérics mehr zahlen, wenn du mir versprächest, Vernunft anzunehmen.»
    «Ach, Monseigneur, das würde mich zu viel kosten», antwortete sein Gegenüber ernst, ohne dabei seinen Dienst zu unterbrechen. Er war Franzose, aus Paris, und hatte über seine Kochkunst ein dickes Buch veröffentlicht, mit dem etwas despektierlichen Motto: «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.»
    Wie sonderbar! Ein Ereignis löste im Palais an den Champs-Élysées den schrecklichsten Aufruhr aus und schien wenige Tage nach dem Aufbruch Karl von Este in seiner heftigen Abneigung vor diesem Gebäude recht zu geben. Einen der kubanischen Molosse, die man nachts im Garten frei herumlaufen ließ, befiel plötzlich die Tollwut. Er brach aus, rannte in die Ställe, biss zwei Diener des Hundezwingers und jagte geifernd, blutend und mit hängender Zunge ins Gebäude, wo er sich an das Ende eines Flurs verzog und knurrend jeden anfallen wollte, der sich ihm zu nähern wagte. Man kann sich das Entsetzen und die überstürzte Flucht der Dienerschaft vorstellen, die lieber durcheinanderredeten als zu kämpfen, bis schließlich Emilia furchtlos aus ihrem Zimmer trat, direkt auf Syphax zuging und ihn mit einem Revolverschuss tötete.
    Diese wenig weibliche Heldentat führte zu allerlei Gerede, rief allerdings im Palast kein allzu lebhaftes Erstaunen hervor: Denn schon seit knapp vierzehn Tagen lächelten Kammerfrauen und Lakaien, wenn der Name der Italienerin fiel. Da sie nach Giovans Auszug sich selbst überlassen war, traten ihr Charakter und ihre Capricen zutage, und hinter ihrer früheren Maske der Vernunft zeigte sich nun die Chlorinde 67 . Keine Verstellung, keine Zwänge mehr; dies war die wahre Emilia, voller Schwung und Extravaganzen. Nachdem sie sich über lange Zeit nicht einmal mit der Fingerspitze von Franz hatte berühren lassen, gab sie sich ihm mit einem Schlag hin, als er es am wenigsten erwartete: «Du gute Heilige!», hatte sie zu ihrer gipsernen Santa Lucia gesagt, «ich werde eine große Sünde begehen, doch du hast ja im Himmel großen Einfluss … und der arme Mann ist so unglücklich!»
    Tatsächlich war er so weit, dass er vor seiner Geliebten kniete und mit den allerfeierlichsten Schwüren beteuerte, sie zu heiraten – zugleich war er übrigens fest entschlossen, sich niemals unter dieses Joch zu begeben.
    So viel Romantik rührte die Italienerin, die seit ihrer Zeit als Vorleserin einem wandelnden Verzeichnis von Lustspielen und Opern glich, aus denen sie oft zitierte. In der Tat schwärmte sie für Aufführungen aller Art, Rennen, Galas, Pferde. Immer war sie auf den Beinen, verspürte den Drang, unterwegs zu sein; wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man sich nicht einmal Zeit genommen für eine Mahlzeit. Kaum war sie gegen Mittag aus dem Bois 68 zurück, war sie schon umgezogen und wieder zum Ausgehen bereit, da erst schickte sie nach Gepökeltem oder einer Scheibe Schinken, manchmal auch nach Pastetchen, die sie dann schwatzend im Stehen aß. Ihr großer Filzhut mit der grauen Feder, eine Art Jagdkleid im Louis-treize-Stil, dessen mit silbernen Tressen besetzte Aufschläge sich auf der Brust überlappten, ihre Stiefelchen mit Kupferabsätzen, ihr kittfarben und blau gestreifter Rock, mit einem Wort, ihre ganze Aufmachung verriet die Theaterkönigin, was auch ihr lebhaftes, unruhiges und kühnes Gesicht unterstrich, das, nach dem Glanz ihrer Augen zu schließen, wahrlich ein bisschen verrückt wirkte. Franz war begeistert, dass es ihr über Wochen hin gelungen war, diese so gleichgültig blicken zu lassen; nun hingegen sprachen ihr heimliches Zwinkern, ihre Haltung und sogar ihr Schweigen eine nur zu deutliche Sprache! Das ganze Haus wurde des geheimen Einverständnisses der beiden gewahr, sodass sich der arme Verliebte, der immer noch vor dem Herzog zitterte, schrecklich fürchtete, dass

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