Goetterdaemmerung - Roman
– beeinflussten das Verhalten der jungen Frau keineswegs.
Tatsächlich hatte Seine Hoheit niemals eine derart bescheidene und zurückgenommene Geliebte besessen, die so bemüht schien, mit allen in gutem Einvernehmen zu leben. Wenn man sie traf, fielen einem nur ihr dunkles Kleid und ihre blitzenden blauen Augen auf; nichtsdestoweniger trug sie stets erlesenes Tuch und einige schöne Juwelen. Diese große Schlichtheit harmonierte aufs Beste mit ihrem sanften und respektvollen Benehmen. Daher empfand Herzog Karl sie als außerordentlich feinsinnig und anpassungsfähig, erachtete ihre Stimme und Art zu sprechen als charmant, schätzte ihre unerschöpfliche Beredtheit über alles, was sie an Menschen und Ländern gesehen hatte, hielt sie für vornehm, höflich, geistreich, ja man könnte sagen, eine Sirene aus dem Märchen, und so gewöhnte er sich an Giulia, an die Schumann-Lieder, die sie ihm vorsang, und an die Stunden, die er bei ihr verbrachte, es waren ungefähr ebenso viele, wie er sie sonst seinem Wellensittich und den Possen seines Hofnarren widmete.
Genau das war die Absicht der Belcredi. Hinter all dem Lächeln, der Anmut und den schönen Floskeln verbargen sich nämlich grauenvolle Fratzen der Lasterhaftigkeit: Herrschsucht, Raffgier, eine erschreckende Hinterhältigkeit, teuflische Machenschaften. Unter ihrem zurückhaltenden, unbeteiligten Auftreten verzehrte sich die Sängerin in brennendstem Ehrgeiz und führte Dunkles und Düsteres im Schilde. Hochfahrender Stolz und maßlose Überheblichkeit, die bisweilen in ihrem kühnen Blick aufblitzte, hinderten sie nicht, wenn es nötig war, Eilfertigkeit, einen bescheidenen und unterwürfigen Ton sowie Schmeichelei an den Tag zu legen; ihr schienen alle Mittel recht, auch die finstersten und abscheulichsten, wenn sie über diese Schliche nur ihr anvisiertes Ziel erreichte.
Sie war wenig galant und von eher männlicher Denkart, gleich Laura Dianti oder Vittoria Accorambona 52 im sechzehnten Jahrhundert und wäre als Frau wie geschaffen gewesen für ein Leben in jenen blutrünstigen Zeiten, um an einem italienischen Hof zu herrschen, sich mit Kriegsführung, Politik, Intrigen, Gift, Sonetten zu beschäftigen, und um einem da Vinci zu begegnen, der sie gewiss gemalt hätte. Als geborene Geliebte von Königen und Fürsten hatte Giulia sich nie unter Stand begeben. In Moskau sprach man noch immer von ihrer Liebesgeschichte mit Großherzog Wladimir Michailowitsch, dem leibhaftigen Neffen des Kaisers, und von der Heirat, zu der sich der junge Mann in seiner wahnsinnigen Verblendung hätte hinreißen lassen, wäre nicht ein Befehl aus Petersburg eingetroffen, der die Sängerin unverzüglich aus Russland verjagt hätte – und ihr zugleich verbot, je wieder dorthin zurückzukehren.
Doch dieses Mal hatte die Belcredi ihre Opfer im Griff; sie konnte in aller Ruhe ihre Fäden spinnen und verknüpfen. Ihre Unternehmung war obskur und riskant und verlangte, so schien es jedenfalls, die Geduld mehrerer Leben, denn die blonde Medea träumte vom Blankenburger Herzoginnentitel mitsamt dem Vermögen, doch bestünde, solange der Herzog von seinen Kindern umgeben war, kaum mehr Hoffnung, als bestenfalls vom Tisch hinabfallende Krumen aufzuheben. Glücklicherweise ist das Schicksal unbeständig; und während sie auf ihren Einfallsreichtum, auf ihre dunkle Erfindungsgabe vertraute, wartete sie, sorgfältig bemüht, ihr Inneres zu verbergen und alles, was in ihr brodelte, mit einer immer dickeren Eisschicht zu bedecken, zugleich war sie einzig damit beschäftigt, den Herzog zu unterhalten, ihm zu gefallen und ihn nach und nach zu erobern.
Da bewies einmal mehr ein unerwartetes Ereignis Karl von Estes ungemeine Unbeständigkeit, und dass es war, wie auf Sand zu bauen, wenn man sich auf diesen Mann verließ. Es schien immer, als gefalle dem Herzog sein Stadtpalast an den Champs-Élysées; in Blankenburg sprach er häufig davon und wünschte sich manchmal, dort leben zu können: Grundriss, Lage, die ebenerdigen Gemächer, die Annehmlichkeit mehrerer Etagen, alles daran schien ihm bewunderungswürdig, bis hin zu den mit Gusseisen verstärkten Mauern, die seine Millionen, so sagte er immer wieder, vor Feuer und Dieben bewahren würden. Letztere allerdings sind hartnäckige Leute. Eines Abends, als Karl von Este aus den Tuilerien zurückkehrte, wo es eine Gala gegeben hatte, fand er seinen Tresor, den er vor dem Weggehen allerdings ohne den Geheimcode abgeschlossen hatte, weit offen
Weitere Kostenlose Bücher