Goetterdaemmerung - Roman
oder Blau, nicht einmal in seinen Plastrons 137 , sondern stets bronzefarbene Grüntöne oder große Schleifen aus schwarzem Faille 138 .
«Sprich mit mir, sag irgendetwas …», murmelte die junge Frau schließlich, doch hatte er ihr nichts zu sagen; er kannte nur eine einzige Wendung: «Ich liebe dich!», und alles, was darüber hinausging, war ihm lästig. – Ach! So wenig liebte sie ihn also, dass er sie nun unterhalten, plappern, sich in ihrer Gegenwart in Freundlichkeiten ergehen sollte! Er fing wieder an, im Zimmer auf und ab zu wandern.
«Woran denkst du?»
«Ich … an nichts.»
«Du bist mir böse.»
«Nein … ganz gewiss nicht.»
Dann waren aufs Neue die rhythmischen Schritte von Ottos Spaziergang zu vernehmen. Was hätte er denn auch sagen sollen, ohne Gefahr zu laufen, dass sie ihn wegen seines Unwissens bissig zurechtwies oder seine Fehler aufdeckte, so wie es gewöhnlich der Fall war; denn seine ursprüngliche Erziehung war von diesem elenden Cramm so sehr vernachlässigt worden, dass Otto über die einfachsten Dinge, über Sitten und Gebräuche, Religion, Wissenschaft oder zeitgenössische Ereignisse so gut wie nichts wusste. Er stampfte mit dem Fuß auf, blieb vor dem Fenster stehen. Der Frost ließ den Himmel erstarren; ein eisiger Wind trieb die dicht fallenden Schneeflocken zu Wirbeln zusammen; die Natur war wie abgestorben. Und bei diesem Schauspiel, das so gut zur traurigen Stimmung des jungen Mannes passte, verging seine Seele vor Schwäche. Nie hatte er sich so trübsinnig, so elend gefühlt; in seiner Vorstellung gab es für ihn nur noch Wehmut und Hindernisse.
Er meinte, frische Luft werde seinen Verdruss vielleicht lindern, und da es die Zeit der Novene der heiligen Genoveva 139 war, ging er mit der Belcredi aus; zu zweit überquerten sie den Vorplatz der Kirche Saint-Étienne, auf dem zu Jahresbeginn ein Rosenkranzmarkt abgehalten wird. Doch die Blicke der Neugierigen, die sich auf seine schöne Geliebte hefteten, brachten den ungebärdigen Jungen aus der Fassung und erfüllten ihn zugleich mit ohnmächtigem Zorn. Während er mit befangenem Blick ausschritt, fuhr Otto in Gedanken mit seiner Reitgerte auf all diese Köpfe nieder, wie Tarquinius, über den er gerade die Erzählung mit den geköpften Mohnblüten gelesen hatte. 140
Sie liebte ihn nicht, sie liebte ihn nicht! Von Tag zu Tag verfestigte sich dieser qualvolle Gedanke in ihm. Wie oft schon hatte ein herablassender Blick, ein schroffes Wort der Belcredi seine zärtlichen Gefühle bis zum feinsten Würzelchen ausgerupft! Und zeigte sich nicht eine ähnliche Verachtung darin, dass sie niemals aufstand und ihm entgegenging, wenn er den Raum betrat? Die Schlosser kam ihm in den Sinn, die das ganze Gegenteil war: so zärtlich und ungeduldig, dass sie durchs Fenster nach ihm Ausschau hielt, lange bevor er erschien. Arme Frau! Er sah sie wieder vor sich, wie sie in ihrem spitzenbesetzten Nachtgewand im Garten Erdbeeren pflückte und so tat, als bemerkte sie sein Eintreffen nicht, weil er ihr verboten hatte, hinter dem Fenster auf ihn zu warten. Als er krank war (und Gott allein mochte wissen, welch seltsames Geschenk er ihr damit machte), hatte sie ihn da nicht gepflegt, ohne Murren, ohne Ekel, und ihm in all ihren Handlungen mütterliches Mitgefühl bewiesen? Sie liebte ihn, das war das Geheimnis …
«Und Giulia liebt mich nicht!»
Ach, Giulia! Je mehr Otto sich ihr näherte, desto ferner kam sie ihm vor. Er hätte gewünscht, dass sie sich allein in seine Gedanken einschlösse und nichts liebte als ihre Liebe; stattdessen jedoch schien der trennende Graben zwischen seinem Herzen und dem der Belcredi von Augenblick zu Augenblick breiter zu werden. Sie floh, sie entzog sich, sie wich vor ihm zurück; Ottos Verstand, so scharf er auch war, verlor sich in diesem Gewölk, das Giulia umgab. Die vertraute und doch so unbekannte Göttin, ein zugleich gegenwärtiges und fernes Wunder, ein Stern, den er in sich trug und der dennoch unerreichbar war; er mochte sie zwar lieben, gewissermaßen über sein eigenes Herz hinaus, mochte seine Seele weiten und ausschicken, um die Belcredi zu verfolgen, doch nie konnte er jenen dunklen Punkt erreichen, den er von Ferne sah und an dem sich seine Geliebte erahnen ließ – und alles, was er von ihr verstand, war, dass sie nicht zu verstehen war.
Als er eines Abends aus dem Reitstall zurückkehrte, wo er Bellua besucht hatte, die seit einigen Tagen krank war, schlich sich der junge Mann bis vor
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