Goetterdaemmerung - Roman
Schläge mit dem eisernen Feuerbock, mit dem er das Schloss nun noch wütender bearbeitete, besänftigten seinen Zorn. Im Herzen empfand er eine Art Scham, den Vorwurf, diese Frau nur unordentlich bekleidet gesehen zu haben; und aufgewühlt und unbehaglich, wie er sich fühlte, wurde er plötzlich von einem so lebhaften Groll gegen Lyonnette und zugleich von Bewunderung für Giulia erfasst, dass er völlig außer sich nach ihr seufzte und schrie: «Ach, meine Geliebte! Meine teure Geliebte!»
In solchen Momenten musste Otto an ein offenes Fenster treten. Seit Langem hatte es keinen so schönen Abend mehr gegeben. Am orange und türkis gestreiften Himmel hinter dem Teich, den man «Das kleine Meer» nannte, schwebten tausend goldene Wolken; und dort unten, am Rand des Wassers, in dem sich der schillernde Wolkenarchipel spiegelte, unter dem rostrot verfärbten Blätterwerk, das den Blick auf ein verfallenes Halbrund am Waldrand freigab, saßen die zehn Frauen, eine wahre Augenweide, friedlich im Gras und taten sich an Wein aus Korbflaschen und Pasteten gütlich, bedient von Lakaien in roter Livree.
Die Nacht war hereingebrochen, als der Sekretär endlich offen stand. Otto zündete ein Streichholz an und ergriff die Geldbündel sowie zehn oder zwölf Rollen Louisdor und ließ nichts übrig als das Silbergeld; dann entfloh der junge Mann durch den Wald. Innerlich entfuhren ihm Schreie nach Giulia, nach seiner fernen Angebeteten, und so hielt er an, die brennende Stirn gegen die Rinde eines Baums gelehnt. Doch ein Geräusch, das ihn verfolgte, ließ ihn plötzlich herumfahren. Es waren dahinjagende Hündinnen, zwei seiner früheren Schützlinge, die ausgebüxt waren und ihn jetzt einholten: «Miss … Turlu …»
Otto beugte sich zu ihnen hinab und streichelte sie. Tränen strömten aus seinen Augen; die feuchte Luft, in der ein herber Geruch nach Pilzen lag, durchdrang ihn und ließ ihn erstarren; der Park lag in tiefem Schlummer: nicht ein Licht, nicht ein Geräusch. Mit einem Mal bekam er Angst und flüchtete – und atmete erst wieder frei, als er von Ferne die roten Lichter des Bahnhofs von Montigny erblickte.
Doch so wie ein erlesener Balsam bisweilen seinen ganzen Duft abgibt, bevor man sich seines Ausströmens überhaupt bewusst geworden ist, hatte Otto im Lauf jenes Tages seine Seele in vergeblichem Verlangen nach seiner abwesenden Geliebten entleert und ausgehaucht, sodass er, als er sie wiedersah, nichts mehr von den Leidenschaften in sich fand, die er sich versprochen hatte. Das Gespräch verlief schleppend, und ausgehungert nach tausend Einzelheiten über den anderen, warteten beide unter Qualen ab, wie der andere beginnen würde.
«Welche Strümpfe hast du angezogen?», fragte Otto und legte eine Hand auf den Rock der Belcredi. Sie trug Strümpfe aus grünem Garn mit dicht an dicht aufgesetzten schwarzen Streifen. Alles schlief, die Sterne funkelten; die beiden Liebenden träumten auf dem in einen kleinen Garten gepferchten Holzbalkon, inmitten von Blumentöpfen und Majoliken, vor sich hin. Unvermittelt fragte er Giulia, ob sie wohl erschrecken würde, wenn er vor ihr stürbe und ihr als Geist erschiene. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, und murmelte, während sie ihm mit der Hand übers Haar strich: «Kind … Kind …»
«Ach!», erwiderte Otto bitter. «Ich hätte keine Angst vor dir.» Und ganz blass geworden, die Augen unverwandt auf die Mondscheibe gerichtet, fühlte er sein Herz wie unter einem schweren Kummer ermatten.
Er schlief die ganze Nacht nicht. Fiebrig, aufrecht im Bett sitzend, trank er unaufhörlich, direkt aus einem Wassertopf, in den er in der Mitte zerteilte, ungeschälte Zitronen warf, und vor lauter Unruhe drehte er sich hundertmal im Bett herum; seine Träumereien waren ein Gespinst aus allem, was man sich an Verrücktheiten vorstellen kann, aus leidenschaftlicher Erregung, Erinnerungen an Wonnen der Lust und vor allem aus Klagen und Wut, weil sie ihn so genannt hatte: «Kind …» Ach! Er empfand nur zu sehr, dass er ein Kind für sie war und dass der Altersunterschied sie wie ein Abgrund trennte. Und wie er im Zimmer auf und ab ging, im nebligen Morgen, der auf diese glühende Nacht folgte, wälzte der Hochmütige tausend Gedanken, die ihm in Erinnerung riefen, wie wenig Aufhebens Giulia um seinetwegen zu machen schien. – Niemals eine freundschaftliche Zuvorkommenheit, nie ein Schritt in seine Richtung; als dieser Markt stattfand in den Gewächshäusern in
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