Goetterdaemmerung - Roman
Überraschung, als er sah, dass der Fiaker vor dem Zaun des Palais anhielt! Ein Mann stieg aus und läutete; sein Bruder, Graf Franz, kam heraus.
«Psst! Psst!», und an einer der Wagentüren erschien ein gebräuntes Gesicht mit großem schwarzem Backenbart. «Vergesst nicht, dass wir morgen im Klub die große Partie spielen, mit von Poix und Caussade …»
«Sieh an», dachte der Junge erstaunt, «mein Bruder ist zum Spieler geworden.»
Auch aufs Beste ausgeheckte Intrigen haben, selbst wenn sie mit größtmöglicher Kunst und Erfahrung gesponnen wurden, bisweilen unerfreuliche Folgen; so war es, wie die Ereignisse verdeutlicht hatten, auch bei Franz und Emilia. Trotz all seiner Trägheit hatte der junge Mann sehr lebhaft das Abstoßende seiner Heirat empfunden. Und auch wenn er sich danach dank seines umgänglichen Naturells wieder mit der Italienerin vertragen hatte, zeigten die von lediglich vorübergehenden Versöhnungen gefolgten Streitereien doch bald, dass in Franz nicht aller Groll erloschen war. Bei ihrem Aufbruch aus Rom allerdings war Emilia schwanger und setzte tausend Hoffnungen der Eintracht und Annäherung in dieses Kind. Doch unglücklicherweise wollte es der Teufel, dass sie in Monte Carlo den berühmten Spieler Romero trafen. Nie hat man erfahren, durch welche Winkelzüge dieser Abenteurer, der hässlich, finster, klein und kühn war, aber viel Esprit und Grandezza besaß, Franz so vollständig in seine Gewalt brachte und ihn mit seinem Laster ansteckte. Tat er nichts weiter, als die gefährliche Neigung zu erraten, deren Samen bereits in der Seele des jungen Mannes schlummerte? Soll man der Behauptung Glauben schenken, dass die Verlockung, die Franz verführte, jene achtzigtausend Franc waren, die er in der ersten Nacht beim Roulette gewann? Wie auch immer, nie hat eine Leidenschaft einen Menschen so heftig ergriffen – sodass Emilia, als sie endlich Verdacht schöpfte, schon keine Zeit mehr blieb, dieser übermächtig gewordenen Vorliebe Tränen oder Vernunft entgegenzusetzen.
Ach!, wie fern lagen sie nun, die glänzenden Tage der Catana, an denen sie ausritt, geraffte Röcke trug, die ihre Beine zeigten, und um schönerer Hände willen mit hochgebundenen Armen schlief. Die Italienerin schien nach ihrer Rückkehr ebenso verändert, wie Franz es war, nicht nur an Gesicht und Figur, die ihre Schwangerschaft verdorben hatte, sondern auch in Benehmen und Geist. Man hätte Mühe gehabt, noch etwas von der ehemals feurigen Reiterin zu erkennen in dieser hingeflegelten Gestalt mit schlecht gekämmtem Haar unter einem Häubchen, schmutzig, träge, von enormem Umfang. Eingeschlossen in ihre Wohnung, wo sie in äußerster Unordnung hauste, schleppte sie sich den lieben langen Tag von einem Sessel zum andern; ihr einziges Vergnügen bestand darin, gemeinsam mit ihrer römischen Kammerfrau Teresina eine Art kleinen Altar mit Deckchen und Blumenbuketten zu versehen, den sie für die Madonna errichtet hatte. Tatsächlich war sie in all ihren Sitten stark Italienerin geblieben und kannte kein anderes Mittel gegen ihren Kummer und ihre Verlassenheit, als Kerzen zu Ehren des bambino 141 anzuzünden und den Rosenkranz zu beten. So verbrachte Emilia in der Gesellschaft Teresinas jede Nacht Stunden damit, auf Graf Franz zu warten. Die monotonen «Ave-Maria» und das Licht der Kerzen schläferten die beiden Frauen nach und nach ein. Dann schreckten sie plötzlich auf, und Emilia begann zu weinen und zu lamentieren. Sie konnte nicht verstehen, warum sich die Dinge so ganz anders entwickelten, als es zunächst den Anschein hatte. Da sie in Gedanken alles großzügig vergeben und vergessen hatte, meinte sie, auch Franz könne keinen Anlass mehr haben, sich über sie zu beklagen.
Im Übrigen beklagte er sich nicht. Er schien vielmehr darauf bedacht, der Italienerin auszuweichen, sie zu fliehen, so sehr verabscheute er jede Auseinandersetzung: Dies ging so weit, dass er seine Schuhe auszog, wenn er morgens nach Hause kam, um geräuschlos über den Gang zu tappen, an dem Emilias Schlafzimmer lag. Tagsüber dauerten ihre Unterredungen höchstens eine Viertelstunde, in welcher der jungen Frau oft Sturzbäche an Tränen entflossen oder aber so heftige Grobheiten, dass Franz, der sich beleidigt fühlte, seinen Hut nahm und wegging. Sie hoffte immer noch, ihn zurückzugewinnen, doch die gleiche Art von Empfindungslosigkeit, die den Grafen in der Tat keinerlei Rachegelüste empfinden ließ, bewirkte auch, dass man kaum
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