Goetterdaemmerung - Roman
sich in den gebohnerten Parkettböden. Und doch verließen den jungen Mann inmitten all dieses Glücks und Friedens seine trüben Gedanken nicht. Hingestreckt auf eine Chaiselongue tat er oft so, als wolle er sich töten, richtete die geladene Pistole gegen sich, legte das Messer an seine Seite; einmal fügte er sich in einem Anfall von Besessenheit tatsächlich eine Verletzung zu und tupfte mit dem Taschentuch die aus seinem Schenkel quellenden Blutströpfchen ab, weidete sich mit Bitterkeit an dem Gedanken, dass er allein war, hilflos und im Stich gelassen …
Nun begann ein trübseliges und verzweifeltes Leben für den Jungen. In ihm erhob sich nur noch erlahmende Zärtlichkeit, eine irrlichternde und unstete Flamme, die seine Seele nicht erfasste, sondern nur leicht über sie hinwegstrich und vom leisesten Hauch ausgelöscht wurde. Mit einem Mal wurde ihm alles fern, wie ein dunkler Rauch; die schöne Anmut, die er in Giulia gesehen hatte, erstarb. Er liebte sie immer noch, trotz alledem; doch waren seine Hände zu steif, um sie zu liebkosen, seine Augen zu tot, um sie anzusehen, sein Mund zu kalt, um sie zu küssen. – Was für ein Herz hatte er nur, ach! Elender! Warum war er nicht glücklich? Und verwirrt von seiner übergroßen Empfindlichkeit blieb er stundenlang reglos sitzen, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf in den Händen vergraben und ganz bleich in der Dämmerung. «Giulia …! Giulia …!», seufzte er.
Über tausend herbeigesehnte Erinnerungen versuchte er seine Leidenschaft neu zu entfachen, und manchmal küsste er einen Augenblick lang ein vergängliches Bild. Doch empfand seine Seele keine Gefühle mehr, die seiner Anstrengung entsprochen hätten. Wurde er in seinen Träumereien gestört, verging im selben Augenblick seine Liebe, vergleichbar mit jenen Pumpen, die nur Wasser liefern, wenn man sie bewegt. Und dennoch, je weniger er liebte und je mehr sein Herz ihn drängte, seiner eigenen Wege zu gehen, desto mehr quälte es sich ab mit Schwärmereien und Anstrengungen, um das Verlorene wiederzufinden.
Der Rausch half ihm dabei. Die stechenden Dämpfe der Getränke weiteten ihm die Brust, seine Kiefer mahlten, in einem inneren Krampf ergab sich sein ganzes Wesen der Freude: Und so verschaffte sich Otto den Genuss solcher Momente, nach denen er geradezu dürstete, indem er Tag für Tag mit der Belcredi dinierte. Der Wein belebte seinen Geist und erhob seine Seele so weit über das Drängen seiner Leidenschaft, dass all seine anderen Gefühle in den Hintergrund traten. «Ach!, wie ich dich liebe, teurer Schatz, mein Herz würde ich dir zu Füßen legen …!» Das Gesicht fahl und schweißgebadet, hielt er sich schwankend auf seinem Stuhl und sagte leise zu sich: «Ich bin betrunken.» Sein Überschwang wurde immer größer, er liebte mit aller Macht, er seufzte, schluchzte, lachte; er musste sich selbst vorsagen: «O meine Geliebte, o mein Schatz, mein liebes Leben, o mein einziges Gut; o du, meine Freude, mein Licht; du Einzige, die mir alles ist; wie ich dich liebe, wie ich dich liebe, wie ich dich anbete …»
Doch auch noch so viele feurige Ausdrücke vermochten die Liebe nicht so leidenschaftlich darzustellen, wie er sie empfand. Seine Erregung ging so unendlich weit über alle Worte hinaus, die die menschliche Sprache besitzt: «Schweig, meine Seele, sag nichts mehr!»
Und in der Ekstase, in die er nun verfiel, waren seine Augen so flink und so durchdringend, seine Sinne so wachsam wie nie zuvor. Eine Geste, ein kleines Augenzwinkern übertrugen in einer Art Ansteckung fast nicht wahrnehmbare Stimmungen der Belcredi auf den Verliebten. Er lebte, er atmete in ihr. Und so wie ein Mensch auf offener See versinkt und ewig weitersinken würde, hätte das Meer keinen Grund, so stürzte sich Otto mitten hinein und versank immer tiefer in dem alles durchdringenden Glück, in dem seine Seele schwamm – bis zu einem ganz bestimmten Moment, jenem Augenblick nämlich, da sich die Nebel des Weins verflüchtigt hatten und er sich erneut von der würgenden Hand der Sorge gepackt sah.
Manchmal trat Otto, den Arm um Giulias Taille gelegt, nach dem Aufstehen vor den Spiegel, in dem sie sich, die Augen starr auf das Glas geheftet, gegenseitig betrachteten: sie heiter und geheimnisvoll, zwischen ihren Fingerspitzen eine Rose drehend, an der sie roch; er blass, rothaarig, mit seinem furchtbaren, brutalen Kiefer und der olivbraunen ungarischen Weste, die er immer anhatte; niemals trug er Rot
Weitere Kostenlose Bücher