Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
Vom Netzwerk:
die da unten durch die Senke schleichen, an die Inder und das ganze Zeug. Aber doch nicht an Zeus oder …»
    «Warum nicht?», unterbrach Baldur ihn erneut. «Denk an die Blitze. Vielleicht verstehen sie, wer da zuschlägt …»
    «Hast du was mit den Ohren, Sohnemann?», donnerte Odin.
    Baldur schwieg.
    «Die Idee», fuhr Odin mit erhobenem Zeigefinger fort, «die Idee ist gar nicht so schlecht. Aber die Ausführung ist halt rettungslos griechisch.»
    «Was meinst du?», fragte Thor und beugte sich vor.
    «Ich meine …» Odin ließ eine Pause entstehen. Aus dem Keller drang das leise Plätschern des Weisheitsquells nach oben. «Ich meine, wir sollten das Prinzip übernehmen. Wir machen das Gleiche wie Zeus. Nur ersetzen wir die Blitze durch etwas Eindrucksvolleres. Etwas Eindeutigeres. Etwas, das die Sterblichen mit der Nase darauf stößt, dass sie es nicht mit einer Naturkatastrophe oder einem x-beliebigen Gott zu tun haben, sondern mit uns.»
    «Und was soll das bitte sein?» Baldur hatte sich jetzt ebenfalls vorgebeugt und sah seinen Vater fragend an.
    «Äpfel», sagte Odin und ließ es wirken.
    «Grandios», dröhnte Thor nach einer Pause.
    «Riesig», nickte Hermodur. Die anderen Götter pflichteten ihnen lautstark bei. Das war ein großartiger Einfall. Ein göttlicher Einfall. Ein Einfall, der eines Odin würdig war. Natürlich: Äpfel. Natürlich das, was den Asen Leben schenkte. Sogar ein Blinder musste dann erkennen, dass sie, und nur sie, ihre Finger im Spiel hatten.
    Ein Blinder zweifelte daran, sagte jedoch nichts. Hödur kratzte sich am Hinterkopf und verzog skeptisch den Mund. Wer sagte denn eigentlich, dass Äpfel für die Sterblichen etwas Besonderes waren? Er hatte da so seine Zweifel, mochte sich aber nicht unbeliebt machen, indem er das Freudengeheul störte. Hätte er seinen imposant aufragenden Vater gesehen, dessen leuchtende Augen, dessen geballte Faust, wäre es ihm vielleicht ebenso ergangen wie den meisten der anderen Götter, deren Verstand (sofern vorhanden) angesichts der ausgelassenen Stimmung Urlaub machte.
    Baldur sagte: «Klingt gut.» Und während Odin seinem klugen Sohn für diese nette Bemerkung die Rechte auf den Rücken sausen ließ, registrierte Hödur beruhigt, dass er mit seiner Auffassung wenigstens nicht ganz allein dastand.
    In einer der düsteren Ecken des Versammlungssaales hockte eine ungewöhnlich große Ratte und kochte vor Wut.
Dafür
, dachte die Ratte,
werden sie büßen. Das wird ihnen noch leidtun. Verglichen mit dem, was sie dafür auf die Helme kriegen, war die ganze Keilerei mit meinen Kindern ein Osterspaziergang
.
    Mit «schlecht» war Lokis Laune wirklich nur sehr unzureichend beschrieben.
     
    «Aber es
muss
einen Weg geben», sagte Athene händeringend und machte sich zum zwanzigsten Mal auf den Weg zu dem großen Stein, der fünf Meter von der Platane entfernt im hohen Gras lag. «Wir dürfen das nicht zulassen.»
    Weder Apollon noch Artemis warfen ein, immerhin habe eine Abstimmung mit eindeutigem Ergebnis stattgefunden. Als Mitbegründer der Demokratie wussten sie, dass ein solches Ergebnis niemand an irgendetwas band. Apollon entzupfte seiner Lyra einige traurige Töne.
    «Was?», fragte er.
    «Zeus niederschlagen», schlug Artemis vor.
    «Und dann?», fragte Athene und kehrte zurück. «Mal davon abgesehen, dass du mit Ares und Poseidon fertigwerden müsstest. Ein bewusstloser Zeus nützt uns nichts. Er müsste seinen Befehl schon zurücknehmen, sprich seine Blitze zum Rückzug auffordern, und das wird er bewusstlos leider nicht können. Nein. Wir müssen ihn … überreden.»
    «Tolle Idee», sagte Apollon. «Einziges Problem: Der Alte ist starrsinniger als versteinertes Holz. Bevor der sich von uns
überreden
lässt, geht die Welt unter …» Er fing sich einen vorwurfsvollen Blick ein. «Verzeihung», murmelte er, langsam verebbend, «unglückliche Formulierung, zugegeben, ich meinte mehr so im übertragenen Sinn, aber das hätte man vielleicht, ja, du weißt schon, was ich meine.»
    Athene seufzte, wanderte wieder zurück zu dem Stein und sah hinunter ins Tal. Ein sanfter, warmer Wind ergriff ihre Haare und spielte damit. Athene bemerkte es nicht. Es war nicht richtig, dass Götter sich in Menschengeschicke einmischten. Und wenn die Sterblichen nicht von allein begriffen, dass gewisse Dinge unerklärlich waren und blieben, glaubten sie eben weiter felsenfest an die grenzenlose Macht ihres beschränkten Verstandes. Was unbestreitbar

Weitere Kostenlose Bücher