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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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immer, ließ sich von Urbichs Ignoranz natürlich gleich provozieren und stieß den Rollstuhl gefährliche Zentimeter weit von sich. Plötzlich zog er ein Megafon hervor. »Du Arschloch nimmst jetzt dieses Ding und erzählst den Leuten, dass ihr alle schuld am Tod von Jan Hüffart gewesen seid. Weil ihr eure Schmiergeld-Millionen unbedingt kassieren wolltet, ist der kleine Junge ermordet worden. Anschließend habt ihr mich in den Knast geschickt und dort versauern lassen. Das kannst du jetzt allen erzählen!« Er warf Urbich den roten Lautsprecher zu. »Und zwar schön langsam, damit jeder da drüben versteht, wozu ihr verfluchten geld- und machtgeilen Politikerärsche in der Lage seid!«
    Urbich fing das Ding, starrte Götze an und tippte sich an die Stirn. »Ihr seid ja völlig irre!«
    »Bis dahin geben Sie mir das Geld!«, sagte Lena Jacobi.
    »Warum sollte ich?«
    »Weil ich die Tochter von Dorothee Mahlmann bin und Frank-Peter Götze mein Vater ist. Sie haben das Leben meiner Familie ruiniert. Und dafür schulden Sie uns etwas!«
    Hatte sie richtig gehört? Silvies Mund wurde trocken, sie musste husten. Dorothee hatte ein Kind gehabt? Wie … um Himmels willen, wie war das möglich?
    Ganz langsam näherten sich Urbich und diese Frau, die sich als Doros Tochter ausgab, einander an. Erleichtert beobachtete Silvie, wie die Tüte samt Inhalt den Besitzer wechselte. Urbichs Teint war jetzt nicht mehr rot, sondern fast violett. »Das ist das Hirnverbrannteste, was ich jemals gehört habe«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Drei Millionen verplempern!« Sie standen sich gegenüber, er mit dem Megafon, sie mit dem Geld, starrten sich an wie Boxer im Ring.
    Silvie konnte es keinen Moment länger aushalten, sie wollte, sie musste zu Karl, ihrem Mann. »Liebster!«, flüsterte sie in sein Ohr, als sie endlich wieder in seiner Nähe war, ihn riechen konnte, ihn spüren. »Liebster, es ist alles gut! Du bist wieder bei mir!« Sie spürte, dass ihr die Tränen kamen vor lauter Liebe und Erleichterung.
    »Du bist nicht böse?«, fragte Karl.
    »Nein, warum sollte ich denn böse sein? Ich bin nur froh, dass es dir gut geht!« Sie versuchte, seine Wange zu küssen, doch er drehte den Kopf zur Seite. Das hatte er noch nie getan. »Was ist denn los?«
    »Ich erinnere mich«, sagte Karl. »Ich weiß jetzt wieder, warum du damals so böse gewesen bist.«
    [17. Juni, 10.02 Uhr, Goðafoss , Þingeyjarsveit, Island]
    Das Wasser zerteilte die Welt in zwei Ufer.
    An dem einen konnte man die Menschen kaum zählen, die auf den grün bewachsenen Felsen umherspazierten. Stets mit vorsichtigen Schritten angesichts der unebenen Wege, die von einer feinen Feuchtigkeit überzogen und vielleicht rutschigwaren. Einige Mutige traten bis ganz dicht an den Rand und spähten in die Tiefe, wichen aber meist sofort zurück, verschreckt durch die Gewalt der Wassermassen, die sich dort unten, zwölf Meter tief, gegen die Steine warfen. Die kleinen Kinder wurden fest an der Hand gehalten, die älteren rannten los und konnten der Versuchung, zwischen den einzelnen Felsen umherzuklettern, trotz der Absperrbänder kaum widerstehen. Oder sie überquerten die Stellen, an denen das Wasser seitlich auf die Schlucht zufloss. Aus den schmalen, flachen Rinnsalen ragten Steine an die Oberfläche – wer schaffte es, mit trockenen Schuhen zur anderen Seite zu gelangen? Ein Hund rutschte ab, landete im kalten Wasser, rettete sich sogleich und schüttelte sein Fell aus, sodass Herrchen und Frauchen auch etwas davon hatten.
    Mit den klimatisierten Bussen, die ganz in der Nähe im üblichen Pulk parkten, waren sicher Hunderte Touristen angereist, ausgestattet mit jeglichem Equipment, das man zum Konservieren der Eindrücke brauchte. Die wenigsten bestaunten das Spektakel ohne Kamera vor der Pupille. So als würden sie sich jetzt schon darauf freuen, sich endlich zu Hause in Marseille, Tokio oder Gelsenkirchen vor ihren Flachbildschirm zu setzen und den Wasserfall anzuschauen. Sie sorgten dafür, sich in Zukunft bestens an Vergangenes zu erinnern – und verpassten darüber völlig die Gegenwart.
    An diesem Ufer stand Wencke und musste erkennen: Es war die falsche Seite!
    Denn das, was sie nicht verpassen durfte, weswegen sie die letzten Stunden hierhergehetzt war, weil es verhindert werden musste, das spielte sich in ungefähr dreißig Metern Entfernung auf einem Felsvorsprung ab, der nur über das andere Ufer zu erreichen war.
    Dort stand Lena

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