Götterfall
ich habe dich etwas gefragt!«, brachte Urbich sich in Erinnerung, ohne ungeduldig zu wirken. Es schien, als ob ihn die Sache geradezu amüsierte.
»Angeblich hat Doro sich damals mit einem Informanten getroffen.«
»Totaler Unsinn! Die hat sich mit niemandem getroffen, das hätten wir doch mitbekommen. Dorothee Mahlmann stand ab Götzes Verhaftung unter ständiger Observation.«
Jetzt wurde Silvie unruhig. Sollte sie Urbich von Wenckes Verdacht erzählen? Von der Vermutung, dass Doros plötzliche Erkrankung alles andere als zufällig gewesen war und womöglich genau die Leute, die mit ihrer Rund-um-die-Uhr-Beobachtung betraut worden waren, dahintersteckten? Nein, sie hatte nicht den Mut, etwas Derartiges laut auszusprechen. Selbst wenn Urbich jetzt gerade so relaxt im Sessel saß: Sie kannte diesen Mann, er konnte plötzlich aufspringen, herumschreien und toben – und ihr das Leben in Zukunft zur Hölle machen. Diese Macht hatte er. Und er würde sie nutzen.
»Ach, Silvie«, seufzte Urbich schließlich, als klar war, dass sie kein weiteres Wort herausbrachte. »Du zerbrichst dir dein hübsch dekoriertes Köpfchen über Dinge aus grauer Vorzeit. Aber dass dein Angetrauter über alle Berge ist, scheint dir egal zu sein.«
»Natürlich ist es das nicht!«, verteidigte sie sich prompt und war sich vollends bewusst, dass ihr aufgebrachter Ton nicht dazu beitrug, souverän zu wirken. »Glaub mir, ich war lediglich ein paar Augenblicke abgelenkt, und als ich zurückkam, standda nur noch sein Rollstuhl. Es tut mir leid! Wirklich, das hätte nicht passieren dürfen!«
»Da hast du allerdings recht.«
»Unverständlich, warum AlumInTerra nicht für seine Sicherheit sorgen konnte!«, wagte Silvie einen kleinen Vorwurf.
»Wir waren sicher, dass du das alles regelst, liebe Silvie. Warst du nicht all die Jahre die beste Security, die man deinem Mann wünschen konnte? Keinen Millimeter bist du von seiner Seite gewichen seit der Geschichte von damals. Da haben wir einfach keine Notwendigkeit gesehen.« Einer seiner Mundwinkel zog sich nach oben. Er war ein Scheusal!
» AlumInTerra hat uns eingeladen – und Wencke Tydmers dazu. Schon das ist eine Nachlässigkeit sondergleichen!«
»Da irrst du dich. Wir haben nicht Wencke, sondern ihre Vorgesetzte eingeladen. Deswegen konnte mir auf der Namensliste, die mein Eventmanager Jarle Yngvisson mir selbstredend vorgelegt hat, nichts auffallen.«
»Aber was sollen wir jetzt tun? Die Polizei sucht bereits nach Karl, aber bislang gab es keinen einzigen Hinweis, so als sei er vom Erdboden verschluckt.«
»Was ist, wenn Götze ihn mitgenommen hat?«
»Götze?« Zugegeben, Silvie hatte diesen Kerl aus ihrem Bewusstsein verdrängt. »Aber der ist doch in Polizeigewahrsam.«
Jetzt lehnte Urbich sich weit nach vorn, sein Atem roch leicht säuerlich, als habe er eben noch Wein oder Sekt getrunken. Das sah ihm ähnlich: Karl schwebte womöglich in Lebensgefahr, und sein ehemals engster Vertrauter gönnte sich einen edlen Tropfen. »Ist er nicht. Gestern, auf dem Weg zum Flugplatz, konnte Götze fliehen.«
»Das ist ein Witz, oder?« Silvies Gedanken machten sich selbstständig: Wenn Götze wirklich frei herumlief, ebenfalls am Gletschersee gewesen war, eventuell auf diesem Boot, von dem Wencke heruntergestoßen wurde, und dann auf dem Parkplatz… sie hätte Karl nicht eine Sekunde aus den Augen lassen dürfen! »Warum haben sie ihn noch nicht gefasst? Götze ist gemeingefährlich!«
»Weil wir ihnen gesagt haben, dass sie ihn laufen lassen sollen, um negative Schlagzeilen zu vermeiden – zumindest solange das Symposium hier tagt.« Er grinste. »Das erstaunt dich? Komm, da reicht ein Telefonat mit dem richtigen Mann, und die Polizei wird zurückgepfiffen, wenn wir es wollen.« Sie musste ihn ungläubig angeschaut haben, wie sie es immer noch, trotz der vielen Jahre, die sie inzwischen in der Politik zu Hause war, tat, sobald ihr jemand erklärte, wie einfach das Geschäft zu manipulieren war. »Du glaubst mir nicht? Der staatseigene Energiekonzern hier im Land hat sich beim Bau des Staudamms mächtig übernommen, dann kam noch die Wirtschaftskrise hinzu, die Verstaatlichung der maroden Banken … Ich sage dir, im Grunde haben wir die hiesige Politik fest im Griff. Sollte AlumInTerra hier am Arsch der Welt die Zelte abbrechen, ist Island pleite. Energie ist eben auch bloß eine Ware, die verkauft werden muss. Und wir sind mit Abstand die besten Kunden.« Das schien Urbich
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