Götterfall
außerordentlich zu gefallen, denn er breitete seine Arme auf dem gläsernen Schreibtisch aus, als säße er an einem Schaltpult, von dem aus sich die ganze Welt nach seinen Wünschen steuern ließ.
Diese Geste machte Silvie wütend. »Wenn du wirklich alle Fäden in der Hand hältst, warum setzt du dann nicht alles daran, dass Karl gefunden wird?«
Er grinste. »Du bist immer noch die Alte, Silvie, stimmt’s? Seit zwanzig Jahren spielst du aller Welt vor, dein Leben in den Dienst dieses Mannes zu stellen. Und jetzt hast du Schiss, wenn herauskommt, dass es in Wahrheit die ganze Zeit andersherum gewesen ist: Karl Hüffart der Große bewegt sich nämlich seit Jahren schon an einer ziemlich kurze Leine, mit der er von seiner zweiten Gattin Gassi geführt wird.«
»Nenn es, wie du möchtest«, entgegnete Silvie. Sie wollte sich nicht provozieren lassen. Und Urbich war auch keineswegs der Erste, der so etwas in der Art behauptete. Die meisten Politmagazine liebten Andeutungen, dass sie angeblich ihre Position ausnutze, um ein historisches Vermächtnis im eigenen Sinne zu verwalten. Etliche von Karls alten Weggefährten warfen ihr vor, ihn zu vereinnahmen und abzuschotten, doch dahinter steckte immer nur Neid oder Wut, weil Silvie den Mumm bewiesen hatte, Karls verlogenen Hofstaat nach und nach zu entlassen. Karls alter Leibwächter sprach kein Wort mehr mit ihr, seine ehemalige Pressefrau auch nicht, dafür redete sie aber ausgiebig mit der Journaille. Auch Karls Verwandtschaft – schon immer ein schmarotzendes Pack – nahm es ihr übel, dass sie den Kontakt rigoros abgebrochen hatte. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe. Es war schwer genug, sich um einen Mann wie den ihren zu kümmern. Da konnte sie auf falsche Ratgeber verzichten.
»Was erwartest du jetzt eigentlich von mir?«, fragte Urbich und starrte sie dabei in Grund und Boden. »Ich habe dich um die halbe Insel kutschieren lassen, weil du mich unbedingt sprechen wolltest, und jetzt muss man dir jedes einzelne Wort aus diesem gepuderten Organ mitten in deinem Gesicht ziehen.«
»Sicherheit!«
»Für dich oder den Herrn Gemahl?«
Silvie rutschte auf dem Besucherstuhl hin und her. Sie wusste, sie musste konkreter werden, auch auf die Gefahr hin, dass der Pitbull begann, bissig zu werden. »Ihr schuldet mir was!«
Das schien Urbich kaum zu überzeugen. »Ja, wirklich? Warst du es nicht, die damals vor zwanzig Jahren bei uns aufgetaucht ist und ihre Hilfe geradezu aufgedrängt hat?« Er verstellte die Stimme und tat, als wäre er ein kleines Mädchen: »Hallo, ich bin die Silvie und Polizeianwärterin im dritten Jahr und für Karl Hüffart, diesen alten Sack, würde ich mir sogar meine blondenZöpfchen abschneiden, wenn es sein muss. Ich kann aber auch einfach nur ein bisschen rumschnüffeln, wenn ihr wollt.« Dann wurde er wieder ernst, und zwar ausgesprochen ernst. »Wir schulden dir überhaupt nichts, Silvie. Du hast gekriegt, was du wolltest. Wenn dir dann dein Sugar-Daddy einfach davonläuft, ist das weiß Gott nicht unser Problem.«
»O doch!« Sie atmete durch und machte den Rücken gerade. »Dass Wencke Tydmers mit diesen Briefen versorgt wird und auf einmal Gefallen daran gefunden hat, in der Vergangenheit zu wühlen, ist definitiv unser Problem. Sollte sie die Gelegenheit bekommen, Karl ohne meine Aufsicht zu treffen und ihn mit ihren Fragen zu löchern, dann ist das auch unser Problem. Ich kenne diese Frau, sie ist hartnäckig und eine verdammt gute Kriminalistin. Damals war sie jung, etwas naiv vielleicht, heute gehört sie zu den besten Köpfen des LKA.«
»Genau!« Er klopfte auf den Tisch, als habe er gerade eine Pokerrunde für sich entschieden. »Das ist ja das Tolle an der Sache!«
»Wie bitte?«
»Die beste Strategie in solchen Situationen: Mach dir einen eventuellen Gegner zum Verbündeten!« Das Leder quietschte, als Urbich sich hinter seinem Schreibtisch erhob. »Wir haben natürlich inzwischen ein paar Erkundigungen über Wencke Tydmers eingeholt.«
»Worauf spielst du an?«
»So genial deine ehemalige Zimmergenossin als Fallanalytikerin sein mag, so daneben ist ihr Privatleben. Und es gibt dummerweise drastische Einsparungen in ihrer Abteilung, die sie demnächst den Job kosten werden – was sie jetzt vielleicht schon ahnt. Auf gut Deutsch: Wencke Tydmers geht der Arsch auf Grundeis. Und wenn es so weit ist, stehen wir bereit, reichen ihr die Hand, bieten ihr einen hoch bezahlten Job, irgendeine Psychoabteilung werden wir
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