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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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aber sie versteht es nicht.
    Sie sitzt neben mir und stellt Fragen, die sie sich selbst beantworten muss.
    Dabei habe ich ihr längst schon erzählt von Ragnarök, dem Untergang der alten Welt, wenn sich das Schicksal erfüllen wird. Sie hat zugehört. Und doch nicht verstanden.
    Sie weiß nicht, dass sie Verðandi ist. Die Gegenwart. Die Werdende.
    Und dass sie damit als einzige der drei Nornen je die ganze Wahrheit erfahren wird. Das macht sie zu etwas Besonderem.
    Ihr rotes Haar schimmert neben mir, wenn ich ihren Körperzu mir herüberziehe. Langsam muss ich sein, denn ich spüre ihre federleichte Angst.
    Doch ich kann mich darauf einlassen. Ich bin ein Gestaltenwechsler, so steht es in der Sage. Ein Manipulator, so würden andere es nennen. Ich sehe mich als Wissenschaftler. Als einen, der alles verstanden hat. Aktion und Reaktion. Die Zusammenhänge der Zeit. Mit diesem Wissen kann ich alles sein, was der andere sich wünscht. So werde ich immer bekommen, was ich will.
    Verðandi will Liebe. Will Nähe. Will Gewissheit.
    Ihre Angst kämpft dagegen.
    Nehme ich ihr die Angst, wird sie mich lieben. Und dann bekomme ich, was ich will.
    Ich will nichts Schlimmes.
    Nur die Wahrheit. Und die Gerechtigkeit. Und das Verderben der Verräter.
    Sie wird mir dabei helfen, doch das ahnt sie nicht. Denn ich habe sie verwirrt im Netz der Geschichten. Das liegt mir. In den Sagen nennt man mich auch den Erfinder des Netzes.
    Man gibt mir viele Namen. Doch sie alle erzählen davon, dass ich schön bin und geschickt, klug und gefährlich.
    Wieder verflechte ich meine Wörter zu einer Falle, aus der sie nicht entkommen wird.
    Meine Hand wird das Klopfen unter ihrer weichen Brust ertasten. Nur Haut soll dazwischen sein. Und etwas von ihrem Schweiß.
    Ich werde ihren Kopf anheben, ihre Lippen streicheln, mich zu ihr beugen.
    Sie sagt etwas. Es ist kein Nein.
    [16. Juni, 7.12 Uhr, Jarles Zimmer, þrihyrningsvat , Island]
    Die Nacht, die mal wieder nicht stattgefunden hatte, war zu Ende. Und Wencke verwirrt.
    Worauf hatte sie sich bloß eingelassen?
    Viel zu früh öffnete sie die Augen, unausgeschlafen, ruhelos, nackt. Deswegen hatte sie auch so gefroren. Ihr eigenes Zittern hatte sie geweckt. Doch als sie die Decke dichter um den Körper schlingen wollte, bemerkte sie den schlafenden Jarle neben sich auf dem Kissen. Ebenfalls nackt, soviel sie sehen konnte. Die Überwindung, das bisschen Warm der Bettdecke zu verlassen, war enorm, doch sie konnte unmöglich auch nur eine Sekunde länger hier liegen bleiben.
    Es war nicht gemütlich, nicht behaglich und verschmust, wie es auch hätte sein können nach einer ersten Liebesnacht. Es war einfach nur kalt.
    Falls Jarle ihre Flucht bemerkte, so ließ er es sich nicht anmerken. Das sprach für ihn. Er hätte sich jetzt auch genauso gut umdrehen und erneut Küsse fordern können. Oder mit seinen Hände wieder so geschickt und spielerisch zu ihr herüberwandern. Doch er ließ es still und bewegungslos geschehen, dass Wencke sich mitsamt ihrer Reisetasche davonstahl.
    Die Ärztin hatte ihr empfohlen, die Verbände noch mindestens drei Tage auf den Händen zu lassen und sie dann nach ihrer Ankunft in Deutschland zu wechseln. Doch Wencke fühlte sich furchtbar und sehnte sich nach einer ausgiebigen Dusche, auch wenn der Blick unter die Mullbinden verriet, dass der medizinische Ratschlag durchaus Sinn machte: Die Wunden waren natürlich kaum verheilt, der Schorf dünn und empfindlich. Egal! Unter der Brause versuchte Wencke herauszufinden, ob die Nacht sich in irgendeiner Weise gelohnt hatte. Denn dass diese Geschichte unvernünftig war, deplatziert und überstürzt, war ohnehin klar. Aber war wenigstens etwas dabei herumgekommen?Warum fiel ihr nichts dazu ein? Etwas Shampoo lief in ihre Augen und die Seife brannte an den Handinnenflächen.
    Sie hatten auf der Veranda gesessen und Wein getrunken, sie hatte ihn zu Doro befragt und er hatte erzählt, ganz ruhig und ohne Nervosität.
    Ja, er könne sich noch gut an ihren Besuch erinnern, damals in Kreuma, diese wilde und entschlossene Frau, keinen Moment habe er die Version geglaubt, nach der sie in ihrer Funktion als Polizistin das Gespräch gesucht hätte. Ihm sei gleich klar gewesen, dass sie dazu viel zu nervös und aufgebracht gewesen war. Und er habe sich damals schon gefragt, was aus einer Frau wird, die solche Fragen stellt.
    Und dann?, hatte Wencke nachgehakt.
    Dann habe er kurz darauf Deutschland Richtung Island verlassen und die Stelle bei

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