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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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gesprungen, hast zwei isländische Beamte bei deiner Flucht schwer verletzt und mit mir gehst du auch nicht gerade zimperlich um.« Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Man kann echt Angst kriegen vor dir.«
    »Du brauchst doch vor mir keinen Schiss zu haben, ich bin doch dein Vater!« Mit Schrecken bemerkte Frankie, dass seine Augen brannten. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal geheult? Als sein Vater gestorben war, wahrscheinlich, sein Vater, der seinen Job verloren hatte bei den Kreuma-Werken, nach vierzig Jahren Betriebszugehörigkeit, und der nach der Kündigung einfach aufgehört hatte zu leben. Da hatte er geweint. Das war noch vor dem verhängnisvollen Januar 1994 gewesen. Seitdem keine Träne. Erst jetzt wieder, wo er selbst der Vater war und feststellen musste, wie weh das tun konnte.
    Lenas Handy klingelte. »Hallo, Frau Tydmers«, sagte sie. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Haben Sie sich von dem gestrigen Schrecken erholt?« Was immer Wencke ihr erzählte, Lena reagierte mit einem ernsthaften Nicken. »Okay, ja, ich verstehe. Und wo sind Sie gerade?«
    Nein, dachte Frankie. Bitte nicht jetzt. Er hätte noch ewig hier in dieser Höhle zubringen können.
    »Und Sie haben kein Auto?  – Ja, kenne ich. Wir brauchen ungefähr zwei Stunden, dann sind wir bei Ihnen!«
    Wir?, dachte Frankie. Was hatte Lena vor?
    Sie legte auf. »Okay«, sagte sie dann. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die Sache zu Ende bringen.«
    Er fragte nicht nach. Er riss sich am Riemen und tat geduldig. Auch wenn er brennend wissen wollte: Welche Sache? Und wer waren ›wir‹?
    Zum Glück sprach Lena ganz von allein weiter. »Es hat alles geklappt wie geplant. Wencke Tydmers hat inzwischen herausgefunden, wer ich bin, und will sich mit mir treffen.«
    »Wo ist sie denn?«
    »In einer Hütte in der Nähe vom Stausee.«
    »Dann fährst du jetzt da hin?«
    »Und euch beide nehme ich mit, dich und Hüffart.«
    »Auf keinen Fall! Wencke bringt mich ins Gefängnis. Bestimmt denkt sie, ich stecke hinter dem Mordanschlag am Gletschersee.«
    »Das wird sie ganz sicher nicht tun.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Sie hat alle Briefe gelesen. Sie ist sich inzwischen im Klaren darüber, dass sie meine Mutter damals im Stich gelassen hat. Sie schuldet mir einfach viel zu viel, um uns jetzt zu verraten.«
    [16. Juni, 13.52 Uhr, Gästezimmer, þrihyrningsvat , Island]
    Plötzlich war da überall dieser Staub. Nur in dünnen Schichten, man fühlte ihn mehr, als dass man ihn sah, wie die Oberfläche eines sehr feinen Schmirgelpapiers. Vulkanasche, grau und ein ganz kleines bisschen rot. Der Wind habe gedreht, sagte Jarle, und nun bekomme man eben doch ein bisschen mehr mit als nur einen spektakulären Blick auf den Herðubreið . Gefährlich sei es nicht, wirklich nicht!
    Jarle servierte Toastbrot, Butter und Honig zum Frühstück, das bis auf ein paar »Kannst du mir noch Tee nachschenken?«-Floskeln nahezu wortlos vonstattenging. Er spielte mit keiner Silbe auf die vergangene Nacht an und auch der Anruf von Axel blieb unerwähnt. Wenn er beleidigt war, weil Wencke sich heimlich wie eine Diebin aus dem Bett geschlichen hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Am ehesten war sein Verhalten mit höflichzu beschreiben, eigentlich eine unübliche Haltung jemandem gegenüber, der die letzte Nacht nackt neben einem gelegen hat.
    Es war zu kühl, um draußen zu sitzen, denn die Veranda vor der Hütte lag um diese Uhrzeit noch im Schatten. Zudem hätte der Staub ordentlich zwischen den Zähnen geknirscht und der Westwind wehte einen leicht unangenehmen Schwefelgeruch zu ihnen herüber. Der Herðubreið hatte sich noch immer nicht beruhigt. Durch das Küchenfenster konnte man den Vulkan gut beobachten, und wenn Wencke sich nicht täuschte, war die Rauchwolke nicht nur dunkler, sondern auch deutlich näher als gestern.
    »Ich muss noch mal zur Firma«, sagte Jarle, fast als wären sie ein altes Ehepaar mit klassischer Rollenverteilung. »Macht es dir was aus, allein hierzubleiben?«
    »Nein, warum?«
    »Weil ich nur das eine Auto habe und das nächste Haus ungefähr fünf Kilometer entfernt und meistens unbewohnt ist.«
    »Kein Problem, wirklich!« Diese Abgeschiedenheit war eigentlich sogar genau das Richtige, fand Wencke. Sie hatte sich nämlich einiges vorgenommen für diesen Tag und erwartete fast ungeduldig, endlich für sich zu sein. Viel Zeit blieb ohnehin nicht, Lena Jacobi hatte sich nach dem Anruf bereits auf den Weg hierher

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