Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
muss mit jemand sprechen, der vertrauenswürdig und einflussreich genug ist, den König sofort und eindringlich zu warnen.«
»Du musst dich an die Königin wenden«, sagte Wahibra. »Sie wird dich anhören.«
Dunkel gekleidet und mit Perücken, die des Alten Reichs würdig gewesen wären, meldeten sich Wahibra und sein Gehilfe am Palasteingang, der den Würdenträgern vorbehalten war. Ein griechischer Söldner überzeugte sich, dass die beiden keine Waffen bei sich hatten, und schickte nach einem Hausverwalter.
»Der Hohepriester der Neith wünscht dringend Ihre Majestät, die Königin, zu sehen«, erklärte Wahibra. »Ich kann warten.«
Wahibra befürchtete, Henat oder auch Siegelbewahrer Udja, die vermutlich beide über die jüngsten Entwicklungen im Fall Kel unterrichtet waren, könnten auftauchen.
Zum Glück mussten sie nicht lange warten.
Königin Tanit war eine reife, aber noch immer verführerische und vollendet geschminkte Frau. Mit einer goldenen Halskette, Karneolohrringen und silbernen Armreifen geschmückt, empfing sie ihre Besucher auf einem Thron aus Ebenholz.
»Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte sie.
»Habt Ihr von der Ermordung der Übersetzer gehört, Majestät?«
»Ja, man weiß, wer der Mörder ist, aber er bleibt unauffindbar.«
»Hier ist er.«
Kel verneigte sich vor der Königin.
Tanit fuhr erschreckt hoch.
»Was soll dieser schlechte Scherz?«
»Der Schreiber Kel ist unschuldig«, erklärte der Hohepriester, »aber keiner hört ihn an. Richter Gem, der die Untersuchung leitet, hat ihn bereits im Voraus verurteilt. Seid Ihr bereit, ihn anzuhören, damit keine schreckliche Ungerechtigkeit begangen wird und die Wahrheit endlich ans Tageslicht kommt?«
Die Königin erhob sich und hielt sich in sicherem Abstand zu ihren Besuchern.
»Ich sollte die Wache rufen und diesen Verbrecher festnehmen lassen.«
»Ich bin unschuldig, Majestät«, wiederholte Kel.
»Wie ich höre, sprechen die Beweise aber gegen dich.«
»Gegen den Pharao braut sich eine Verschwörung zusammen, die der Leiter der Übersetzer entdeckt hatte. Die Übersetzer wurden getötet, um sie zum Schweigen zu bringen. Und ich wurde zum Sündenbock auserkoren, um das Gericht in die Irre zu leiten.«
Die Königin sah Kel lange an. »Ihr macht einen glaubwürdigen Eindruck auf mich. Wer sollen denn diese Verschwörer sein?«
»Dame Zeke, eine Geschäftsfrau aus Naukratis, will in Ägypten griechisches Geld einführen und unsere ganze Wirtschaftsweise grundlegend verändern. Vermutlich hört sie auf einen hohen Würdenträger, der den berühmten Helm des Pharaos gestohlen hat. Wenn der richtige Augenblick gekommen ist, wird er ihn aufsetzen und sich zum Pharao erklären.«
Tanit schien beeindruckt.
»Der Diebstahl des Helms … Ihr wisst also davon!«
»Ein Schriftstück, das sich in meinem Besitz befindet, enthält wahrscheinlich wichtige Hinweise, ich konnte es aber bisher nicht entziffern. Im Namen des Königs, Majestät, ich schwöre Euch, dass ich kein Verbrechen begangen habe!«
Nachdenklich setzte sich die Königin wieder.
»Ich bitte Euch, warnt den Pharao und unterbreitet ihm den Fall dieses jungen Schreibers«, sagte der Hohepriester eindringlich.
Tanit nahm sich eine lange Bedenkzeit.
»Ich bin einverstanden«, antwortete sie schließlich.
»Erlaubt Ihr, dass ich ihn unter meinen persönlichen Schutz stelle und dass Ihr ihn nicht ins Gefängnis schickt – das wäre sein sicherer Tod?«
»Ich will Euch diesen Wunsch gewähren«, sagte die Königin zum Hohepriester.
Wahibra und Kel verneigten sich tief.
Es gab wieder Hoffnung.
51
A masis leerte einen Becher neuen Wein, der ein bisschen sauer war, und musste plötzlich laut lachen bei dem Gedanken daran, wie er die leichtgläubigen oder scheinheiligen Priester behandelt hatte, die ihr ganzes Vertrauen in die Orakel setzten.
Ehe er König wurde, hatte Feldherr Amasis das Leben in vollen Zügen genossen und den Zorn der Sittenstrengen auf sich gelenkt. Weil sie sein Ansehen schädigen und ihn seines Amtes enthoben sehen wollten, hatten sie ihn des Diebstahls bezichtigt.
Da er die Tat entschieden leugnete und es keine Beweise gab, blieb nur ein Ausweg: Das Orakel musste befragt werden.
Also war Amasis in verschiedenen Heiligtümern vor verschiedene heilige Statuen getreten.
Die einen nickten bei schuldig, die anderen bei unschuldig!
Im Zweifel für den Angeklagten – diese Regel hatte man auch bei Amasis angewandt. Als er dann König war,
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